Rede von Steffi Lemke zur Eröffnung der Konferenz "Strengthening the E in HREDD – Why the environmental dimension of sustainable supply chains matters"

10.05.2022
Bundesministerin Steffi Lemke hält eine Rede auf der Konferenz "Strengthening The 'E' In HREDD" über nachhaltige Lieferketten.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau von Dewitz,
sehr geehrter Herr Khan,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

man sieht einem Produkt seine Geschichte nicht an: woher die Rohstoffe stammen, unter welchen Arbeitsbedingungen es entstanden ist, wieviel Lärm, Emissionen und Abwasser dabei verursacht wurden. Der soziale und ökologische "Rucksack" eines Produkts bleibt viel zu häufig unsichtbar. Das zu ändern und Unternehmen stärker dafür in die Pflicht zu nehmen, was in ihren Lieferketten geschieht, darum geht es bei der heutigen Konferenz.

Unser Fokus liegt dabei auf den ökologischen Sorgfaltspflichten. Was können und müssen Unternehmen tun, um ihre Lieferketten umweltverträglicher zu machen? Denn unternehmerische Sorgfaltspflichten betreffen nicht nur soziale Aspekte und Menschenrechte wie Kinderarbeit oder auskömmliche Löhne – es geht auch darum, dass Wälder erhalten bleiben oder dass Flüsse und Böden nicht mit giftigen Chemikalien verseucht werden.

Wie komplex und wie anfällig unsere Lieferketten sind, welche Abhängikeiten bestehen, das haben uns die Corona-Pandemie und die Folgen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt. Es ist eben nicht selbstverständlich, dass Güter in beliebiger Menge und Qualität rund um die Uhr verfügbar sind.

Die Frage, wie wir Lieferketten dauerhaft erhalten und dabei in den Produktionsländern tragfähige Einkommen und gesunde Lebensverhältnisse sichern können, ist heute aktueller denn je.

Nachhaltige Lieferketten bringen eine doppelte Dividende: Sie machen unsere Handelsbeziehungen resilienter und können gleichzeitig einen Beitrag zur Bekämpfung globaler Umweltkrisen leisten. Ich will das mit ein paar Beispielen verdeutlichen:

  • Die globale Entwaldung und das Auslaugen von Böden bedrohen die biologische Vielfalt und das Klima. Sie beeinträchtigen verschiedene Funktionen von Ökosystemen, auf die die Landwirtschaft angewiesen ist – Bestäubung zum Beispiel oder die Fähigkeit von Böden, Wasser zu speichern.
  • Die zunehmende Zerstörung der Lebensräume von Tieren und Pflanzen kann ein Treiber von Pandemien sein, die dann auch die Wirtschaft beeinträchtigen.
  • Die Klimakrise birgt eine große Gefahr für die Unterbrechung von Lieferketten – mit zunehmenden Extremwetterereignissen und Dürren, die ganze Regionen unfruchtbar machen.

Es gibt bereits eine Reihe von Initiativen, um Lieferketten nachhaltiger zu machen – von den G7, der EU, von einzelnen Staaten. Ihr Ziel ist, den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fußabdruck unseres Konsums zu verringern und zu verhindern, dass andere den Preis für unsere Konsumentscheidungen zahlen.

Ein Auslöser vieler dieser Initiativen war das verheerende Unglück in Rana Plaza im Jahr 2015, bei dem mehr als 1.000 Menschen bei dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch getötet wurden. Diese Katastrophe hat ein Licht darauf geworfen, unter welch gefährlichen Bedingungen Fast Fashion produziert wird und welch hohen Preis die Näherinnen für ein billiges T-Shirt zahlen. Dabei sind schlechte Sozial- und Umweltstandards kein Alleinstellungsmerkmal der Modebranche, sondern leider allgegenwärtig, von der Kakaoplantage bis zur Handyproduktion.

Seit 2015 nimmt die Anzahl freiwilliger und verpflichtender Initiativen der G7 zur Erreichung nachhaltiger Lieferketten zu. Einige Beispiele:

  • Deutschland und Frankreich haben Lieferkettengesetze verabschiedet. Diese verpflichten Unternehmen, die Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Umweltbeeinträchtigungen zu analysieren und zu verringern, vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Die Gesetze setzen an einem schon lange bekannten Ansatz an, dem Sorgfaltspflichtenprozess. Unternehmen können sich nicht länger darauf zurückziehen, nicht zu wissen, unter welchen Bedingungen ihre Zulieferer arbeiten.
  • Die EU treibt Gesetzesvorhaben für nachhaltige Unternehmensführung voran. Ende März hat sie zudem im Rahmen ihrer Sustainable Products Initiative eine Textilstrategie vorgelegt, um den Irrweg der globalen Bekleidungsindustrie mit immer schneller aufeinander folgenden Kollektionen zu einem immer höheren sozialen und ökologischen Preis zu beenden. Ökodesign, bei Elektrogeräten längst eine Erfolgsgeschichte, soll auch in der Mode zum Standard werden. Das reduziert die Umweltbelastungen in der gesamten Lieferkette, vom Entwurf bis zur Entsorgung.
  • Die G7-Staaten setzen sich gemeinsam dafür ein, dass nicht immer mehr Wald für die landwirtschaftliche Produktion abgeholzt wird. Sie haben konkrete Schritte eingeleitet, damit Unternehmen zu entwaldungsfreien Lieferketten und Waldschutz beitragen. Zum Beispiel arbeitet die EU mit Hochdruck an einem neuen Gesetz für Sorgfaltspflichten gegen Entwaldung. G7-Staaten wie die USA oder Großbritannien haben Gesetze gegen Entwaldung und erwägen diese auszuweiten.

All dies zeigt, dass sich auf internationaler Ebene zunehmend die Erkenntnis durchsetzt: Multinationale Unternehmen dürfen nicht wegschauen. Sie sollen für das Verantwortung tragen, was in ihren Lieferketten passiert.

Aber die Erkenntnis und die bisherigen Maßnahmen reichen noch nicht aus.

Denn ein Großteil der globalen Umweltprobleme wird in der Lieferkette verursacht:

  • 90 Prozent des Artenaussterbens und der Wasserknappheit und ungefähr die Hälfte der globalen Treibhausgase, so das International Resource Panel.
  • Beinahe 70 Prozent der Luftverschmutzung, die die deutsche Chemieindustrie verursacht, entstehen bei der Rohstoffgewinnung und bei Zulieferern.
  • Und etwa 90 Prozent der globalen Entwaldung wird verursacht durch Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen.

Das bedeutet: Wenn wir es nicht schaffen, die Umweltprobleme zu adressieren, die in globalen Lieferketten entstehen, dann können wir weder die Klimaziele erreichen, noch den Biodiversitätsverlust oder die Verschmutzung unseres Planeten aufhalten.

Die G7 tragen dabei eine besondere Verantwortung. Mit ihrem bedeutenden Marktanteil und ihrem politischen Gewicht haben sie Einfluss auf die umwelt- und klimabezogenen Produktionsbedingungen weltweit. Mein Ziel ist, dass die G7 zum Vorreiter und Modell für nachhaltige Produktion weltweit werden, indem sie ambitionierte Standards setzen.

Die Vorteile liegen auf der Hand:

  • Schlechte Produktionsbedingungen sind nicht länger ein Vorteil im globalen Wettbewerb. Stattdessen müssen Produzenten und Zulieferer dazu beitragen, dass zum Beispiel weniger Wasser, Chemikalien und Pestizide eingesetzt werden. Das wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Menschen und auf die Natur und damit auch Ernteerträge aus.
  • Für Unternehmen in den G7 wird Klarheit geschaffen. Für diejenigen, die jetzt schon ambitionierte Nachhaltigkeitsstandards umsetzen, entsteht Wettbewerbsgleichheit. Standards entlasten Unternehmen, weil nicht jeder das Rad neu erfinden und den eigenen Weg zur Nachhaltigkeit suchen muss. Und auch die Produzentenländer können sich auf die Standards einstellen.
  • Für Verbraucherinnen und Verbraucher schaffen klare gesetzliche Vorgaben zur Nachhaltigkeit Transparenz und Vertrauen.

Die G7 sind nicht nur eine Wirtschaftsmacht. Sie sind auch eine Wertegemeinschaft, die sich zur Achtung der Menschenrechte und zum Schutz von Klima und Umwelt bekennt. Ein gemeinsames, ambitioniertes Vorgehen in Sachen nachhaltige Lieferketten ist nicht nur viel wirkmächtiger als ein Vorgehen einzelner Staaten, es trägt auch zur Glaubwürdigkeit der G7 bei.

Mit einer Konferenz am 6. Mai hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Themen Kinder- und Zwangsarbeit und die Debatte um einen international verbindlichen Standard zu nachhaltigen Lieferketten auf die Agenda der G7 gesetzt.

Solche Standards können darüber hinaus den Umwelt- und Klimaschutz in den globalen Lieferketten stärken. Dafür möchte ich die deutsche G7-Präsidentschaft nutzen.

Es gibt vieles, auf dem wir hier aufbauen können:

  • International anerkannte Rahmenwerke für nachhaltige Unternehmensführung wie die OECD Leitsätze oder die UN Leitprinzipien.
  • Freiwillige Initiativen von Unternehmen, zum Beispiel zur Treibhausgasneutralität oder zur Verringerung von Wassernutzung und Entwaldung in Agrarlieferketten.
  • Eine Vielzahl von Beratungsangeboten, Zertifizierungsstellen und Handreichungen, die Unternehmen helfen, nachhaltiger zu werden.

Ich werde im Rahmen der deutschen G7 Präsidentschaft dafür werben, dass sich die G7 zusammenschließen, um hohe Umwelt- und Klimaschutzstandards in ihren Lieferketten einzuführen und umzusetzen - für "Fortschritt für eine gerechte Welt". Unser gemeinsames G7-Umweltkommuniqué soll ein entsprechend starkes Signal senden.

Die deutsche Präsidentschaft der fünften internationalen Chemikalienkonferenz ICCM5 will ich nutzen, um ambitionierte Standards im Chemikalien- und abfallmanagement zu setzen. Das ist ein wichtiger Baustein für nachhaltige Lieferketten.

Ich will außerdem dafür Sorge tragen, dass die weltweit angewendeten OECD Leitsätze, die Anforderungen an nachhaltige Lieferketten formulieren, an die gestiegenen Erwartungen zum Schutz der natürlichen Umwelt angepasst werden.

Dafür werde ich mich einsetzen, dafür will ich die deutschen G7-Präsidentschaft nutzen und dafür zähle ich auf Ihre Unterstützung.

Vielen Dank.

10.05.2022 | Rede Nachhaltigkeit
https://www.bmuv.de/RE10074
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