Rede von Steffi Lemke bei der Forschungskonferenz Klimaresiliente Schwammstadt

20.06.2022
Steffi Lemke bei der Veranstaltung Forschungskonferenz "Klimaresiliente Schwammstadt"
Die Konferenz "Klimaresiliente Schwammstadt" beleuchtet naturbasierte Lösungen am Beispiel der Schwammstadt als wichtigen Beitrag zur Klimaanpassung. Bundesumweltministerin Steffi Lemke hielt die Eröffnungrede.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Messner,
sehr geehrte Damen und Herren,

es freut mich besonders, Sie hier in meiner Heimatstadt Dessau zur Schwammstadt-Forschungskonferenz im Umweltbundesamt begrüßen zu können. Wir sprechen heute über ein Konzept, das für die Vorsorge gegen die Klimakrise und die Anpassung an ihre Folgen ein enormes Potential hat, vor allem in Städten. Ich bin gespannt auf Ihre Einschätzungen dazu und zum weiteren Forschungsbedarf.

Wenn wir uns heute austauschen, geschieht das zwangsläufig vor dem Hintergrund einer geopolitischen Zeitenwende. Die Weltgemeinschaft ist mit einer dramatischen Krise konfrontiert. Die vordringlichste Aufgabe ist es daher, den Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und das Leid der Menschen zu beenden. Die Spuren des Krieges sind auch hierzulande zu spüren: Energie und Rohstoffe werden teurer oder fehlen absehbar ganz. Güter sind nicht mehr beliebig verfügbar, Lieferketten funktionieren nicht mehr reibungslos. Gleichzeitig sind unsere Wirtschaft und Gesellschaft geplagt von den Jahren der Pandemie.

Schon werden die ersten Stimmen laut, es gebe doch jetzt wirklich Wichtigeres zu tun, als Klimaschutzmaßnahmen zu beschließen oder bedrohte Tierarten zu schützen.

Und es ist ja auch richtig, dass Krieg, Hunger und Inflation im Moment im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Die ökologischen Krisen, die Klimakrise, das Artenaussterben und die Verschmutzungskrise, sind darüber aber nicht verschwunden. Im Gegenteil, wir brauchen dringender denn je Lösungen, die die multiplen Krisen gemeinsam angehen.

Deshalb stelle ich mich entschieden denjenigen entgegen, die jetzt die vermeintlichen Lösungen aus der Vergangenheit aus der Schublade holen. Und zum Beispiel den Atomausstieg in Frage stellen. Das ist aus vielen guten Gründen der falsche Weg. Einer davon – noch relativ neu in der Debatte: In Frankreich wurde gerade erst wieder ein Atomkraftwerk gedrosselt, weil die Rhône so wenig Wasser führte, dass das Kühlwasser nicht mehr abgeleitet werden konnte. Das Phänomen kennen wir hierzulande: Die Elbe konnte man schon des Öfteren zu Fuß durchqueren. Die Spree fließt immer häufiger rückwärts, weil sie zu wenig Wasser führt. An den Veränderungen im Wasserkreislauf werden die Folgen der Klimakrise besonders deutlich.

  • Denken wir etwa an die Flutkatastrophe im letzten Jahr, die zu verheerenden Zerstörungen geführt hat. Innerhalb einer Nacht verloren über 180 Menschen auf tragische Weise ihr Leben und über 800 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Schäden sind unermesslich und dauern bis heute an. Allein die Sachschäden belaufen sich nach bisherigem Stand auf über 32 Milliarden Euro. Rein monetär betrachtet gilt diese Flutkatstrophe damit als bislang teuerste Naturkatstrophe Europas. Eine wesentliche Lehre daraus: Ein sorgfältiger Wiederaufbau muss die betroffenen Kommunen in Zukunft besser vor Starkregen und Hochwasserereignissen schützen.
  • Oder denken wir an die anhaltenden Dürreperioden, die ländlichen Regionen und Städten zu schaffen machen. Sachsen-Anhalt zählt zu den Regionen, die am stärksten von Versteppung bedroht ist.
  • Besonders in Städten werden Hitzewellen immer mehr zur Gesundheitsbelastung, vor allem für ältere Menschen, Kinder und Kranke. Und diese Hitzewellen werden zunehmen. Aber auch das Stadtgrün und die grünen Erholungsoasen leiden durch die lang anhaltende Trockenheit und die zunehmende Hitze. Die Anzahl von Straßenbäumen nimmt ab, obwohl das Gegenteil der Fall sein müsste, denn sie spenden Schatten und kühlen ihre Umgebung.

Um all dem entgegen zu wirken, um das wertvolle und unersetzliche Wasser zu schützen, sind Vorsorge gegen Klimaschäden, Klimaanpassung, Klimaschutz und ein schonender Umgang mit Ressourcen so wichtig. Es geht um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, unserer Sicherheit und unseres Wohlstands. Es geht um ein gutes Leben in der Zukunft. Und genau darum geht es beim Konzept der "Schwammstadt". Professor Messner wird Ihnen gleich die vielfältigen Vorteile von Schwammstädten näher erläutern. Ich möchte auf die politischen Rahmenbedingungen eingehen, in die sich das Konzept Schwammstadt perfekt einpasst. Klimaschutz ist eine der Kernaufgaben meiner Arbeit als Umweltministerin. Drei Schwerpunkte in diesem Bereich möchte ich Ihnen heute vorstellen – alle drei mit direktem Bezug zum Thema "Schwammstadt".

Der Natürliche Klimaschutz verknüpft Klimaschutz, Erhalt der biologischen Vielfalt und Vorsorge gegen die Folgen der Klimakrise. Ich habe Ende März bereits erste Eckpunkte für ein Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz vorgestellt. Im Mittelpunkt des Aktionsprogramms steht, natürliche Ökosysteme wie Wälder und Auen, Böden und Moore, Meere und Gewässer wiederherzustellen, zu stärken und zu schützen. Ein wichtiger Aspekt dabei sind Grünflächen in der Stadt und auf dem Land. Der Bund will dafür in den nächsten fünf Jahren insgesamt vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz verbessern wir die Rahmenbedingungen für ein naturnahes Grünflächenmanagement, fördern klimarobuste Stadtbäume oder die Neubegrünung urbaner Wälder. Das Leitbild der wassersensiblen Stadt soll in diesem Rahmen weiterentwickelt und umgesetzt werden.

Ein wichtiges Hindernis ist hier die fortschreitende Versiegelung der Böden. Sie macht Böden undurchlässig und beeinträchtigt damit die Versickerung von Regenwasser und die Grundwasserbildung.

In vielen Städten herrscht ein hoher Baudruck für Wohnungen, Büros oder Gewerbe. Das bedeutet gleichzeitig Druck auf freie Flächen, Naturräume und Gewässer. Kommunen haben deshalb eine wichtige Rolle bei der raumbezogenen Planung. Im Bund sind die Weichen für einen schonenden und sparsamen Umgang mit Grund und Boden gestellt, für eine Reduzierung des Flächenverbrauchs und für eine gute Versorgung mit Grün- und Freiflächen. Die praktische Umsetzung vor Ort muss mit diesen Rahmensetzungen Hand in Hand gehen. Ich finde es deshalb wichtig, sich über gemeinsame Lösungsansätze und Forschungsbedarfe auszutauschen.

Das Konzept der Schwammstadt denkt all das zusammen: Verkehrsräume, Fassaden- und Dachflächen, technische und soziale Infrastrukturen und private Gärten und öffentliche Parks. Vernetzte Grünflächen und Gewässer schaffen Entlastung bei städtischen Hitzewellen und puffern Starkregenereignisse ab. Gleichzeitig verbessern diese Flächen als Habitate und Erholungsräume die Umwelt- und Lebensqualität.

Anpassung und Vorsorge gegen die Klimakrise sind auch Teile der Nationalen Wasserstrategie. Der Entwurf des Bundesumweltministeriums wird gerade innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Mein Ziel ist, dass er bis Jahresende im Kabinett verabschiedet wird.

Konkret soll die Wasserstrategie folgendes erreichen:

  • Auch in 30 Jahren soll es in Deutschland jederzeit und überall hochwertiges und bezahlbares Trinkwasser geben.
  • Grundwasser, Seen, Bäche und Flüsse sollen sauberer werden.
  • Infrastruktur, Landnutzung und Stadtentwicklung werden an die Folgen der Klimakrise angepasst.

Die beiden Kerngedanken der Nationalen Wasserstrategie sind Vorsorge und ein integrativer Ansatz. So wie die Erarbeitung der Strategie eine Gemeinschaftsaufgabe ist, so wird auch die Umsetzung nur gemeinsam funktionieren. Das gilt auch für das Wassermanagement in Städten, das zentral ist für die Anpassung an die Klimakrise in Städten. Das Wassermanagement muss daher zu einem wichtigen Element der Stadtentwicklung werden.

Als Auftakt zu einer neuen und breit aufgestellten Anpassungspolitik habe ich im März ein "Sofortprogramm Klimaanpassung" vorgestellt. Dieses beinhaltet eine Beratungs- und Vernetzungsoffensive für Kommunen. Das Zentrum KlimaAnpassung, das wir letzten Sommer gegründet haben, übernimmt dabei eine wachsende und bedeutende Rolle. Seine Beratungs- und Unterstützungsangebote vor allem für Kommunen werden bereits breit angenommen und perspektivisch noch wesentlich ausgebaut.

Kommunen wird vermittelt, dass naturbasierte Ansätze gute Lösungen für Klimaanpassungsmaßnahmen sind. Denn sie leisten gleich Mehreres: Sie schützen das Klima, sichern die Wasserverfügbarkeit, schützen Natur und Artenvielfalt und steigern die Lebensqualität und die Gesundheit der Bevölkerung vor Ort. Das Konzept der Schwammstadt, der wassersensiblen Stadt, ist dabei eine sehr gute Möglichkeit klimaangepasste Städte und Gemeinden der Zukunft zu gestalten.

Insgesamt stellen wir mit dem Sofortprogramm Klimaanpassung bis 2026 zusätzlich 60 Millionen Euro zur Verfügung. Doch das ist nur der Anfang. Diesem Sofortprogramm werden weitere Maßnahmen folgen, wie ein Klimaanpassungsgesetz und eine Anpassungsstrategie.

Wir können unsere Städte und Gemeinden als Hort der Biodiversität neu erfinden. Als Schwammstadt können Städte gleichzeitig zu Klimaanpassung und Klimaschutz beitragen – und dabei lebenswerter werden. Dafür müssen wir dem Umbau der Städte und der Innenverdichtung, wie sie gerade diskutiert wird, ökologische Maßstäbe geben.

Lassen Sie uns die heutige Konferenz nutzen, all diese Ansätze und Anforderungen zusammenzudenken. Dazu benötigen wir innovative Forschung und forschungsbasierte Politikberatung. Denn damit können wir den anstehenden Herausforderungen auf einer breiten Wissensbasis begegnen. Ich bin deshalb sehr froh über die hervorragende Zusammenarbeit mit dem UBA und seinem Präsidenten Dirk Messner. Und ich danke Ihnen allen schon jetzt für Ihre Beiträge und Ihre Forschung zum Thema.

20.06.2022 | Rede Klimaanpassung
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