Steffi Lemke: "Darum steigen wir aus der Atomkraft aus"

14.04.2023
Bundesministerin Steffi Lemke
In einem Gastbeitrag im Tagespiegel zählt die Umweltministerin die Gründe auf, warum Deutschland nun endgültig aus der Atomenergie aussteigt. 

Als Land, dessen Wohlstand auch auf energieintensiven Industrien basiert – auf Maschinenbau, Automobil- und Chemieindustrie – benötigen wir eine sichere und finanzierbare Energieversorgung. Damit diese auch zukünftig gewährleistet ist, investieren wir in großem Umfang in den Ausbau der Erneuerbaren Energien. 

Als für die nukleare Sicherheit zuständige Ministerin halte ich den Atomausstieg für eine gute und eine zukunftsweisende Entscheidung. Es gibt viele gewichtige Gründe dafür. Fünf davon will ich hervorheben.

Erstens: Der Atomausstieg macht Deutschland sicherer. Bei keinem AKW der Welt ist ausgeschlossen, dass es zu einem katastrophalen Unfall kommen kann - sei es durch menschliches Versagen wie in Tschernobyl, durch eine Naturkatastrophe wie in Fukushima, durch Terroranschläge, Flugzeugabstürze oder nicht erkannte Sicherheitslücken. Oder im schlimmsten Fall durch Angriffe, wie die Ukraine sie durch Russlands Krieg erleiden muss.

Die Folgen eines Unfalls in einem Atomkraftwerk können verheerend sein. Und wenn eine solche Katastrophe eintreten sollte, sind die Folgen und ihre Kosten ungleich verheerender als bei allen anderen Formen der Energiegewinnung. Keine Versicherung der Welt deckt das Risiko einer Atomkatastrophe ab, in Deutschland nicht und auch sonst nirgends.

Das Umweltministerium hat als oberste Atombehörde in Deutschland jahrzehntelang mit dafür gesorgt, dass die deutschen Atomkraftwerke hohe Sicherheitsstandards einhalten. Bei der Atomkraft gibt es jedoch keine absolute Sicherheit. Deshalb erfüllt mich der Atomausstieg mit Erleichterung.

Ich bin auch deshalb erleichtert, weil in Deutschland durch den Atomausstieg kein weiterer hochradioaktiver Atommüll produziert wird. Die Atomkraft hat drei Generationen Strom geliefert. Ihre Hinterlassenschaften bürden wir jedoch unseren Nachkommen auf. Sie werden noch 30.000 Generationen betreffen. Das ist eigentlich unvorstellbar lange und es ist mir schleierhaft, wie man eine solche Technologie als nachhaltig einstufen möchte.

Den Standort für ein Endlager zu finden, in dem die Brennstäbe so lange sicher verwahrt werden, ist eine teure Jahrhundertaufgabe. Noch nirgends auf der Welt ist ein Endlager in Betrieb. Auch in Deutschland haben wir noch einen weiten Weg vor uns.

Mein dritter Grund: Atomkraft ist weder klimafreundlich, noch wurde sie für Dürre- und Hitzezeiten entwickelt. Auch wenn es richtig ist, dass Atomkraftwerke klimaverträglicher sind als Kohle oder Gas, so unstrittig ist es, dass Sonne und Wind klimafreundlicher sind. Vor allem aber belasten AKW durch ihren hohen Kühlwasserbedarf unsere Flüsse, die durch die Klimakrise ohnehin stark gefährdet sind.

Unser Nachbarland Frankreich musste letztes Jahr erhebliche Mengen Strom aus Deutschland importieren, weil französische AKW neben technischen Problemen nicht genug Kühlwasser hatten bzw. die Flüsse bereits so aufgeheizt waren, dass sich die weitere Entnahme und Einleitung von Wasser verbot. Mit immer häufiger auftretenden Dürren und Hitzesommern wird dieses Problem größer. Wir brauchen eine klimakrisensichere Energieversorgung, nur eine solche ist zukunftsfähig.

Dazu kommt: Atomkraft ist nicht billig. Berücksichtigt man auch die Kosten für Uranabbau, Entsorgung und Versicherung, ist Atomstrom schon heute teuer. In den USA wurden zwischen 2009 und 2021 zwölf AKW vom Netz genommen, weil sie sich schlicht nicht rentierten. Kein Neubau rechnet sich ohne erhebliche staatliche Subventionen.

In Frankreich liegt der AKW-Neubau Flamanville 3 am Ärmelkanal nicht nur zwölf Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück, sondern wird auch über zehn Milliarden Euro teurer als ursprünglich geplant. Auch in Großbritannien und Finnland explodieren die Kosten. Und wenn Europa unabhängig von russischen Energieimporten werden will, gehören dazu selbstverständlich auch Uran und Brennelemente.

Und fünftens: Wir brauchen die Atomkraft schlichtweg nicht. Es gibt bessere Alternativen. Sonnen- und Windstrom lassen sich heute viel billiger und - mit den richtigen Standards - auch im Einklang mit dem Naturschutz erzeugen. Sie sind sicherer, nachhaltiger, klimafreundlicher und wirtschaftlicher als die Atomenergie.

Das erklärt auch, warum weltweit der Anteil der Atomenergie seit dem Jahr 2000 unter dem Strich abnimmt. 2021 lag er bei nur fünf Prozent des gesamten weltweiten Primärenergieverbrauchs. Die erneuerbaren Energien sind dagegen seit Jahren im Aufwind. Erzeugungspreise fallen, die installierte Leistung steigt – seitdem die jetzige Bundesregierung im Amt ist, ist dies auch in Deutschland wieder der Fall.

Die Bundesregierung hat den Turbo geschaltet für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Gleichzeitig investieren wir in grünen Wasserstoff, in Speichertechnologien, in Energieeffizienz und Energieeinsparung. Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien bleibt ein Kraftakt und es ist auch Teil der Wahrheit, dass wir gegenwärtig noch nicht so weit sind, wie wir gerne wären.

Genauso wie die Tatsache, dass wir durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine noch einmal temporär auf Kohle und LNG zurückgreifen müssen. Aber ein Argument für das Festhalten an oder gar den Ausbau der Atomkraft ist es nicht. Und trotz vieler Beschwörungen einer internationalen Renaissance der Atomkraft: die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Alle demokratischen Parteien, mehrere Bundesregierungen und die Betreiber der Atomkraftwerke haben sich auf den Atomausstieg verständigt und sie hatten dafür genauso gute Gründe wie die unzähligen Bürger, Landwirte, Winzer und Bürgermeister, die seit Jahrzehnten dafür eingetreten und auf die Straße gegangen sind. Niemand, der Verantwortung wirklich ernst nimmt, sollte diese große gesellschaftliche Einigung aus welchen Gründen auch immer aufkündigen.

14.04.2023 | Medienbeitrag Nukleare Sicherheit

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