Planetare Belastbarkeitsgrenzen
Ein Kreis von etwa 30 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre publizierte im Jahr 2009 den Fachartikel "A safe ope-rating space for humanity" und formulierte darin für neun zentrale natürliche Systeme und Prozesse "planetare Belastbarkeitsgrenzen". Ein Teil des Autorenteams legte im Jahr 2015 eine Aktualisierung und Fortentwicklung vor. Durch diese Veröffentlichungen erhielt die Debatte über die ökologische Tragfähigkeit der Erde in den vergangenen Jahren in der Fachwelt große Aufmerksamkeit. Die Definition ökologischer Belastbarkeitsgrenzen basiert dabei einerseits auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, andererseits auf der Anwendung des Vorsorgeprinzips.
Die Kernaussagen des Konzepts in seiner aktuellen Form sind:
Kernaussagen
Rückgang der biologischen Vielfalt
Im Hinblick auf die abnehmende Intaktheit der Biosphäre durch den Rückgang der biologischen Vielfalt sowie im Hinblick auf die Störung der Nährstoffkreisläufe von Stickstoff und Phosphor als Beispiel biogeochemischer Flüsse hat sich die Menschheit weit vom sicheren Handlungsraum entfernt und setzt sich einem hohen Risiko negativer ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Folgen aus.
Veränderung des Klimas und die Reduzierung der Waldflächen
Im Hinblick auf die Veränderung des Klimas und die Reduzierung der Wald-flächen durch die Veränderung der Landnutzung hat die Menschheit den sicheren Handlungsraum bereits verlassen und setzt sich einem erhöhten Risiko nicht tolerierbarer ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Folgen aus.
Nutzung von Süßwasser, den Ozonverlust in der Stratosphäre und die Versauerung der Meere
Im Hinblick auf die Nutzung von Süßwasser, den Ozonverlust in der Stratosphäre und die Versauerung der Meere agiert die Menschheit derzeit in globaler Perspektive noch im sicheren Handlungsraum. Die Süßwassernutzung überschreitet jedoch vielerorts lokale oder regionale Belastbarkeitsgrenzen.
Aerosolgehalt der Atmosphäre
Im Hinblick auf den Aerosolgehalt der Atmosphäre sowie die Einführung neuer Substanzen und modifizierter Lebensformen ist eine verlässliche Einschätzung der hiermit verbundenen Risiken derzeit nicht möglich.
Das Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen macht deutlich, dass der Klimawandel sich in eine ganze Reihe riskanter, durch Wechselwirkungen miteinander verbundener Veränderungen im Erdsystem einfügt und somit nicht die einzige gravierende globale Umweltveränderung darstellt. Gemeinsam mit dem Rückgang der biologischen Vielfalt kommt dem Klimawandel jedoch eine hervorgehobene Bedeutung zu. Diese beiden Entwicklungen allein könnten – so die These der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bereits dazu führen, dass die Erde in eine neue erdgeschichtliche Epoche eintritt: das "Anthropozän". Der relativ stabile erdgeschichtliche Zustand des seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren herrschenden "Holozäns" ist der bisherige Rahmen natürlicher Lebensbedingungen für die gesamte Zivilisationsgeschichte der Menschheit. Diesen stabilen Zustand zu verlassen, könnte eine nachhaltige Entwicklung gefährden: Armut zu beenden, gesunde Lebensbedingungen zu schaffen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität zu ermöglichen, Gerechtigkeit und Frieden zu fördern, Lebensqualität und Wohlstand zu erhalten – all dies wird nicht möglich sein, wenn das Fundament fehlt: eine stabile Umwelt und intakte Natur.
Die planetaren Belastbarkeitsgrenzen

Steffen et al. 2015, übersetzt
Diese Grafik zeigt das Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen an. Für die Erde sind sechs ökologische Bereiche definiert, bei denen ein Überschreiten der Grenzen Folgen für die Menschen hätten. In vielen Bereichen sind die Belastbarkeitsgrenzen nicht definiert, unter anderem bei neuen Substanzen und modifizieren Lebensformen, Ozonverlust in der Stratosphäre, Aerosolgehalt der Atmosphäre oder der funktionellen Vielfalt.
Die Bereiche, in denen die Menschen im sicheren Handlungsraum sind, sind die Versauerung der Meere und die Süßwassernutzung. An der Grenze zum Überschreiten ist die Menschheit beim Bereich Klimawandel und Landnutzungswandel.
Ein hohes Risiko mit Folgen für die Menschheit liegen in den Bereichen genetische Vielfalt und biogeochemische Flüsse, mit sowohl Phosphor als auch Stickstoff.
Das Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen macht deutlich, dass der Klimawandel sich in eine ganze Reihe riskanter, durch Wechselwirkungen miteinander verbundener Veränderungen im Erdsystem einfügt und somit nicht die einzige gravierende globale Umweltveränderung darstellt. Gemeinsam mit dem Rückgang der biologischen Vielfalt kommt dem Klimawandel jedoch eine hervorgehobene Bedeutung zu. Diese beiden Entwicklungen allein könnten – so die These der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bereits dazu führen, dass die Erde in eine neue erdgeschichtliche Epoche eintritt: das "Anthropozän". Der relativ stabile erdgeschichtliche Zustand des seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren herrschenden "Holozäns" ist der bisherige Rahmen natürlicher Lebensbedingungen für die gesamte Zivilisationsgeschichte der Menschheit. Diesen stabilen Zustand zu verlassen, könnte eine nachhaltige Entwicklung gefährden: Armut zu beenden, gesunde Lebensbedingungen zu schaffen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität zu ermöglichen, Gerechtigkeit und Frieden zu fördern, Lebensqualität und Wohlstand zu erhalten – all dies wird nicht möglich sein, wenn das Fundament fehlt: eine stabile Umwelt und intakte Natur.
Das "Hochzeitstorten-Modell"
Auf dem Modell der planetaren Belastbarkeitsgrenzen aufbauend, wurde von Carl Folke, Johan Rockström und anderen Forschern im Jahr 2016 ein erweitertes Modell entworfen, das nach dem Prinzip einer Hochzeitstorte aufgebaut ist. Damit soll das wissenschaftliche Modell der planetaren Belastbarkeitsgrenzen auf die Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen übertragen werden.
Ausgangspunkt des Modells ist die Tatsache, dass Wirtschaftssysteme und Gesellschaften in die Biosphäre eingebettet und daher vom Erhalt der Biosphäre abhängig sind. Das Modell ist eine Abkehr vom sektoriellen Ansatz, in dem die soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung getrennt betrachtet werden. Es nimmt stattdessen die Wirtschaft als integrativen Teil unserer Gesellschaft in den Blick, der sich ausschließlich innerhalb der planetaren Grenzen entwickeln darf.
Basis dieser Darstellung sind vier nicht verhandelbare planetare Grenzen, nämlich: Trinkwasser, Klima, Biodiversität und Meere. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler messen damit den Nachhaltigkeitszielen 6 (Wasser), 13 (Klima), 14 (Leben im Wasser) und 15 (Leben an Land) eine grundlegende Bedeutung zu.

Azote Images for Stockholm Resilience Centre, Stockholm University
Erweiterte Bildbeschreibung
Abbildung: The Wedding Cake. Darstellung der SDGs in Hinblick auf ihre systemische Einbettung und Interdependenz.
Das Modell besteht aus drei Ebenen. Diese Ebenen bauen aufeinander auf.
Die unterste und größte Ebene ist die wichtigste in dem Modell. Sie steht für die SDGs (Ziele für nachhaltige Entwicklung), die die Biosphäre erhalten sollen. Laut den Forschenden ist das die Grundlage für das Erreichen aller weiteren Entwicklungsziele.
SDGs zur Biosphäre:
- SDG 15 – Leben am Land
- SDG 14 – Leben unter Wasser
- SDG 6 – Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
- SDG 13 – Maßnahmen zum Klimaschutz
Die Ebene, die auf den SDGs der Biosphäre aufbaut, ist die gesellschaftliche Ebene. Sie ist die zweitgrößte Ebene in dem Modell und beinhaltet alle gesellschaftlichen SDGs.
SDGs zur Gesellschaft:
- SDG 1 – Keine Armut
- SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden
- SDG 16 – Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
- SDG 7 – Bezahlbare und saubere Energie
- SDG 3 – Gesundheit und Wohlergehen
- SDG 4 – Hochwertige Bildung
- SDG 5 – Geschlechtergleichheit
- SDG 2 – Kein Hunger
Die gesellschaftlichen SDGs bilden wiederum die Basis für die letzte und kleinste Ebene. Diese Ebene stellt die ökonomischen Ziele dar.
SDGs zur Wirtschaft:
- SDG 8 – Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
- SDG 9 – Industrie, Innovation und Infrastruktur
- SDG 17 – Partnerschaften zur Erreichung der Ziele
- SDG 10 – Weniger Ungleichheiten
- SDG 12 – Nachhaltiger Konsum und Produktion
Bereits im Integrierten Umweltprogramm 2030 des BMUB (2016) wurde die Einhaltung der ökologischen Grenzen als zentrale Herausforderung für die Umweltpolitik eingeordnet. In der Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) stellte die Bundesregierung fest, dass "die planetaren Grenzen unserer Erde zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle die absoluten Leitplanken für politische Entscheidungen bilden". Auch die DNS 2021 stellt fest, dass die "planetaren Belastbarkeitsgrenzen" einen "sicheren Handlungsraum" definieren innerhalb dessen Entwicklung, globale Gerechtigkeit, Wohlstand und ein "gutes Leben" erreicht und dauerhaft gesichert werden können.