Rede von Steffi Lemke zur Konferenz "Die Zukunft der Oder"

07.09.2023
Bundesministerin Steffi Lemke
Anlässlich der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke eine Rede gehalten.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Frau Böhme,
Herr Dr. Vössing,
Frau Herrmann,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für den Schutz der Oder,

ich kann heute leider nicht bei Ihnen sein im schönen Schloss Criewen. Aber ich weiß, welch wunderschöne Naturlandschaft mir damit entgeht. Denn seit der Katastrophe im vergangenen Jahr bin ich mehrfach im Nationalpark Unteres Odertal und an der Oder gewesen, um mir selbst ein Bild zu machen. Zuletzt vor wenigen Tagen. Denn die Lage an der Oder bereitet mir weiterhin Sorgen.

Ich denke, wir alle haben die Bilder des letzten Jahres noch deutlich in Erinnerung. Schätzungen zufolge sind bis zu 1.000 Tonnen Fisch in der Oder verendet. Mehr als die Hälfte aller damals vorhandenen Fische wurde Opfer der Katastrophe. Andere aquatische Lebewesen wie Wasserschnecken und die für die Reinhaltung der Oder so wichtigen Muscheln sind ebenfalls in großer Zahl gestorben. Die Bemühungen der vergangenen Jahre zur Wiederansiedlung des Baltischen Störs haben einen großen Rückschlag erlitten. In der Oder, aber auch in den Aufzuchtstationen, die mit Wasser aus der Oder gespeist wurden.

Heute wissen wir: Drei Faktoren haben damals das Fischsterben ausgelöst. Die Oder hatte zu wenig Wasser, sie war zu warm und zu salzhaltig. Die Brackwasseralge Prymnesium parvum, die es in einem Binnengewässer wie der Oder unter anderen Bedingungen gar nicht geben würde, konnte sich dadurch massenhaft vermehren. Ihre Giftstoffe haben das Fischsterben ausgelöst. Zu diesem Ergebnis kamen die Expertinnen und Experten aus Polen und Deutschland in ihren Berichten.

Fakt ist: Die Brackwasseralge, die das Fischsterben verursacht hat, ist nun im System der Oder. Sie kann dort längere Zeit überdauern und fängt bei für sie günstigen Bedingungen wieder an, sich massenhaft zu vermehren. Dafür müssen wir uns entsprechend wappnen und vorbereiten. Jetzt gilt es, mit aller Kraft eine Wiederholung der Katastrophe zu verhindern.

Im Frühjahr dieses Jahres gab es erneut Meldungen über tote Fische beziehungsweise Algenblüten in polnischen Stauseen entlang der Oder. Auch im August gab es Berichte über hohe Algenkonzentrationen in Seen, Altarmen und im Gleiwitzer Kanal in Polen. Dabei waren im Juli und August dieses Jahres die Temperaturen im Einzugsgebiet der Oder teilweise deutlich niedriger als zur Zeit des Fischsterbens im vergangenen Jahr. Dies kann dazu beigetragen haben, dass sich die Umweltkatastrophe in diesem Jahr bisher nicht wiederholte. Das Wetter ist aber in den letzten August-Wochen wieder heißer geworden und aktuell nimmt der Spätsommer wieder spürbar an Fahrt auf. Die Leitfähigkeit der Oder, die auf Salzeinleitungen hinweist, ist weiterhin hoch. Daher bin ich sehr besorgt, dass es zu einer Wiederholung der Katastrophe kommen könnte.

Zwei der drei Faktoren, die das Sterben in der Oder ausgelöst haben, sind nur langfristig zu lösen: die Erwärmung des Wassers und das Austrocknen des Flusses durch die Klimakrise. Ein Faktor jedoch kann kurzfristig beeinflusst werden: die Salzeinleitungen. In meinem Austausch mit der polnischen Seite dränge ich daher weiterhin eindringlich darauf, dass die Salzeinleitungen – wo immer das möglich ist – gestoppt oder mindestens deutlich reduziert werden müssen.

Daneben ergreifen wir auf deutscher und polnischer Seite weitere Maßnahmen, die eine erneue Katastrophe verhindern sollen.

Die Oder wird in Polen und Deutschland genau überwacht. Auf deutscher Seite tragen dafür vor allem die Bundesländer die Verantwortung. Brandenburg war bereits vor der Umweltkatastrophe mit seinen automatischen Messstationen an der Oder beispielgebend. Die dort gemessenen Werte, etwa die Leitfähigkeit, stehen öffentlich zur Verfügung. Auch Polen hat automatische Messungen eingeführt und informiert inzwischen entlang der Oder online zu ausgewählten Parametern. Auf einer Webseite der polnischen Regierung wird zu aktuellen Entwicklungen zur Lage an der Oder informiert. Ich würde mir aufgrund der Verschärfung der Lage eine aktivere Informationspolitik gegenüber Deutschland wünschen. Das letzte Jahr hat gezeigt, wie schnell sich das Fischsterben entlang der Oder bis nach Deutschland fortgesetzt hat. 

Um für den Fall eines erneuten Fischsterbens vorbereitet zu sein, wurde im Frühjahr dieses Jahres der Warn- und Alarmplan der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder (IKSO) aktualisiert. Damit sollte eine Warnung im Krisenfall nun schneller erfolgen können.

Neben kurzfristigen Maßnahmen ist die langfristige Erholung der Oder essentiell. Denn nur intakte Ökosysteme sind widerstandsfähig gegenüber den Folgen der Klimakrise. Ich habe unter anderem das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, IGB, mit einem großen Projekt beauftragt, um die Regeneration der Oder zu unterstützen. Wir fördern das dreijährige Modellvorhaben mit rund 4,8 Millionen Euro. Das Projekt wird die entstandenen Schäden und die Entwicklung der Erholung des Flusses erfassen und Empfehlungen ableiten, wie die Oder widerstandsfähiger und renaturiert werden kann. Dazu hören Sie heute vom IGB noch mehr.

Im Mai dieses Jahres wurden die Besatzmaßnahmen mit Jungstören im gesamten deutschen Odergebiet wiederaufgenommen. Sie haben zum Ziel, trotz der Umweltkatastrophe eine sich selbst erhaltende Störpopulation aufzubauen. So wollen wir diese imposanten Wanderfische vor dem Aussterben bewahren. Das Programm wird von den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium unterstützt.

Sehr geehrte Damen und Herren, für den Schutz der Oder ist das Engagement der Umweltverbände und der Wissenschaft von immenser Bedeutung. Es freut mich, dass an dieser Konferenz Fachleute aus Polen, Tschechien und Deutschland teilnehmen. Nur durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der drei Staaten, die die Oder als Lebensader verbindet, kann der Schutz dieses wichtigen Ökosystems gelingen.

So stehe ich seit Beginn des Fischsterbens auch mit meiner polnischen Kollegin, Frau Ministerin Moskwa, im regelmäßigem Austausch. Kurz nach dem Bekanntwerden des Fischsterbens haben wir eine bilaterale Expertengruppe ins Leben gerufen, die seitdem mehrfach getagt hat. Die Expertengruppe hat zwei Workshops zum Erfahrungsaustausch zu der Brackwasseralge und zu Revitalisierungsmaßnahmen durchgeführt. Sie tauscht sich in den letzten Wochen auch zu den Algenblüten in Polen stromaufwärts von Breslau aus.

Die Umweltkatastrophe an der Oder steht exemplarisch für die drei ökologischen Krisen, die uns weltweit vor große Herausforderungen stellen – die Klimakrise, das Artenaussterben und die Verschmutzungskrise. Diesen Herausforderungen müssen wir uns stellen. Wir haben als Bundesumweltministerium in dieser Legislaturperiode wichtige Maßnahmen im Kampf gegen diese Krisen auf den Weg gebracht: das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, die Nationale Moorschutzstrategie und die Nationale Wasserstrategie zum Beispiel. An der Umsetzung arbeiten wir nun gemeinsam mit Ländern, Kommunen und weiteren Verantwortlichen vor Ort. Erfolgreich werden wir dabei nur sein, wenn die lokale Bevölkerung, die Zivilgesellschaft vor Ort und die Wissenschaft mit an einem Strang ziehen.

Deshalb freue ich mich sehr, dass Sie sich auf dieser Tagung zusammenfinden. Für Ihren Einsatz für die Erholung und den Erhalt des wichtigen Ökosystems Oder bin ich außerordentlich dankbar. Ich wünsche Ihnen in den kommenden Tagen einen erfolgreichen Austausch und viele interessante Eindrücke.

Vielen Dank.

07.09.2023 | Rede Wasser und Binnengewässer
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