Steffi Lemke zur Oder: "Das Verhältnis ist nicht zerrüttet, aber auch nicht einfach."

29.06.2023
Bundesministerin Steffi Lemke
Im Interview mit Zeit Online spricht Bundesumweltministerin Steffi Lemke über die politische Situation entlang der Oder. Nach dem massenhaften Fischsterben im Sommer 2022 und dem fortschreitenden Ausbau bereitet insbesondere die M

Zeit Online: Frau Lemke, im Sommer 2022 sind mehr als die Hälfte der Fische in der Oder gestorben, weil sich die Goldalge dort massenhaft vermehren konnte. Damals haben die polnischen Behörden ihre deutschen Partner nicht darüber informiert, dass eine gewaltige Umweltkatastrophe auf sie zukommt. Jetzt starben wieder Fische im Oberlauf der Oder – Deutschland wurde abermals nicht gewarnt. Wie zerrüttet ist das deutsch-polnische Verhältnis am Fluss?

Steffi Lemke: Das Verhältnis ist nicht zerrüttet, aber auch nicht einfach. Es ist wichtig, mit allen Seiten im Gespräch zu bleiben, vor allem auch grenzüberschreitend. Dazu nutzen wir alle Möglichkeiten auf allen Ebenen. Auf meine polnische Amtskollegin, die Ministerin für Klima und Umwelt, Anna Moskwa, gehe ich immer wieder zu. Erst Anfang Juni habe ich sie in Subice getroffen, um mit ihr über die Situation der Oder zu sprechen.

Forschende warnen, dass es in diesem Sommer sehr schnell zu einem weiteren großen Fischsterben kommen kann. Was muss jetzt geschehen?

Als Erstes müssen die Salzeinleitungen polnischer Bergwerke reduziert werden. Zweitens brauchen wir mehr automatische Messstationen im ganzen Verlauf der Oder, damit alle gewarnt sind, wenn es wieder zu einer Algenblüte und Giftwelle kommen sollte. Hier hat die polnische Seite bereits automatische Messungen begonnen. Außerdem sollten alle Ausbauarbeiten der Grenzoder gestoppt werden, damit sich das wertvolle Ökosystem des Flusses erholen kann.

Diese Forderungen haben Sie schon mehrfach erhoben. Bei der polnischen Regierung stoßen Sie damit nicht auf Gegenliebe. Sie sieht in der Oder in erster Linie eine wichtige Wasserstraße für die Industrie. Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?

Das ist schwierig. Es gibt das deutsch-polnische Regierungsabkommen von 2015 zum Ausbau der Oder. Darin ist festgehalten, wo Baumaßnahmen vorgenommen werden sollen. Ich denke allerdings, dass selbst diese Maßnahmen zu viel für das geschädigte Ökosystem sind und habe deshalb ein Moratorium für das Abkommen vorgeschlagen. Außerdem habe ich mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing mehrfach darüber gesprochen, ob Änderungen am Abkommen möglich sind, die wir an die polnische Seite herantragen können.

Der Verkehrsminister ist offiziell für die Oder zuständig. Was hat Herr Wissing Ihnen geantwortet?

Volker Wissing will kein Moratorium. Ein Moratorium wäre mit Polen sicher nicht einfach zu verhandeln, aber machbar und aus ökologischen Gründen dringend geboten. Die Oder ist ja nicht das einzige Thema, bei dem wir einen Dissens mit Polen haben. Aber wir sind auf eine gute Zusammenarbeit mit Warschau angewiesen und müssen im Austausch bleiben.

Müsste nach der Katastrophe vom vergangenen Sommer nicht ein Umdenken einsetzen?

Eigentlich schon. Aber es gibt hierzulande ebenfalls seit vielen Jahren den Streit darüber, was gut für einen Fluss ist. Auch in Deutschland haben wir über Jahrzehnte hin von Flüssen nur als Wasserstraßen gesprochen, der vorgebliche ökonomische Nutzen stand immer im Vordergrund.

Nun hat Polen noch weit umfangreichere Ausbaupläne für die Oder, als sie im Regierungsabkommen festgeschrieben sind. Warschau will die Oder zu einem Wirtschaftsweg umbauen, von einem großen Containerhafen an der Ostsee über Staustufen und eine vertiefte Fahrrinne bis ins Industrierevier bei Katowice. Ist das Abkommen vielleicht doch ein guter Kompromiss zwischen wirtschaftlichen und ökologischen Interessen?

In der aktuellen Phase sind alle Baumaßnahmen ein Hemmnis für die Erholung der Oder, auch wenn sie durch das Abkommen legitimiert werden. Der Natur hilft das Abkommen deshalb nicht.

Ändern können Sie es ohne das Verkehrsministerium aber auch nicht. Fühlen Sie sich nicht ziemlich hilflos?

Nein, aber ernüchtert. Als das Abkommen 2015 von der Bundesregierung unterzeichnet wurde, habe ich das damals als Abgeordnete scharf kritisiert, weil die Schäden am Fluss ja auch schon da absehbar waren. Wir werden aber unseren Umgang mit unseren Wasserressourcen in Zeiten von Dürre und Hitze grundsätzlich überdenken müssen. Dazu werden uns die Klimaveränderungen zwingen. Und das ist dann nicht allein die Aufgabe des Umweltministeriums.

Quelle: Zeit Online | Interview: Kai Biermann und Karsten Polke-Majewski | 29. Juni 2023

29.06.2023 | Medienbeitrag Europa

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