Nukleare Sicherung

Kühltürme des Kernkraftwerks Saporischschja in Enerhodar, Ukraine

1. Einleitung

Das Atomgesetz (AtG) verfolgt, unter anderem, aber nicht darauf beschränkt, als Ziel, Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen und durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen verursachte Schäden auszugleichen (siehe Paragraf 1, Nummer 2 AtG).

Ein wesentliches Element der atomrechtlichen Genehmigungstatbestände für kerntechnische Anlagen und Tätigkeiten im Atomgesetz ist der Nachweis, dass der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) gewährleistet ist.

Dieser atomrechtlich geforderte Schutz gegen SEWD weist sowohl einige Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu der ebenfalls als Genehmigungsvoraussetzung ausgestalteten erforderlichen Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der kerntechnischen Anlage oder die Ausübung einer Tätigkeit auf.

Der Antragsteller muss in atomrechtlichen Verfahren nachweisen, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der kerntechnischen Anlage oder die jeweilige Tätigkeit getroffen ist (zur nuklearen Sicherheit siehe auch Paragraf 2 Absatz 3a Nummer 2 AtG). Diese Genehmigungsvoraussetzung betrifft das von der kerntechnischen Anlage oder Tätigkeit selbst ausgehende Risiko. Die zu treffende Vorsorge dient dem Schutz vor diesem Risiko und wird durch ein Zusammenwirken technischer, personeller und organisatorischer Sicherheitsmaßnahmen gewährleistet.

Im Gegensatz hierzu zielt der Schutz gegen SEWD nicht auf den Schutz vor dem von der kerntechnischen Anlage oder der Tätigkeit selbst ausgehenden Gefahrenpotenzial, sondern auf den Schutz vor einem Missbrauch dieses Gefahrenpotenzials zu kriminellen oder terroristischen Zwecken (Sicherung). Derartige Handlungen werden als Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD) bezeichnet. Die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen werden im fünften Abschnitt des Atomgesetzes getroffen.

Kontrollraum eines russischen Kernkraftwerks

2. Grundsätzliches zur Sicherung

Gemäß Atomgesetz (AtG) darf eine Genehmigung für den Betrieb einer kerntechnischen Anlage oder Einrichtung oder für die sonstige Verwendung von Kernbrennstoffen nur erteilt werden, wenn der erforderliche Schutz gegen SEWD gewährleistet ist.

Paragraf 42 AtG legt die Schutzziele der nuklearen Sicherung kerntechnischer Anlagen und Tätigkeiten gegen SEWD fest. Anforderungen und Maßnahmen zum Schutz gegen SEWD sind darauf ausgerichtet, Einwirkungen Dritter zu verhindern, die auf die Freisetzung von Kernbrennstoffen oder ihrer Folgeprodukte in erheblichen Mengen oder auf die Entwendung von Kernbrennstoffen zum Zwecke des Baus einer kritischen Anordnung zielen. Die Anforderung den erforderlichen Schutz gegen SEWD zu gewährleisten, gilt für alle kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen, also zum Beispiel für Kernkraftwerke, Kernkraftwerke im Rückbau, Forschungsreaktoren, Zwischenlager, Einrichtungen des Brennstoffkreislaufs und so weiter.

Der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist auch im Hinblick auf kerntechnische Anlagen und Tätigkeiten hoheitliche Aufgabe des Staates. Dementsprechend ist die Abwehr terroristischer Gefahren vorrangig eine staatliche Aufgabe. Die staatliche Aufgabe wird bei kerntechnischen Anlagen und Tätigkeiten spezialgesetzlich ergänzt durch die Verpflichtung des Genehmigungsinhabers zu Maßnahmen zum erforderlichen Schutz der kerntechnischen Anlage oder Tätigkeit gegen SEWD. Angesichts der präventiven und repressiven staatlichen Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung sind die Maßnahmen des Genehmigungsinhabers auf einen präventiven und reaktiven erforderlichen Schutz gegen von der Exekutive unterstellte SEWD beschränkt. Insgesamt wird der Schutz gegen SEWD im Hinblick auf kerntechnische Anlagen und Tätigkeiten durch aufeinander abgestimmte Maßnahmen des Staates und der Genehmigungsinhaber gewährleistet. Die Verzahnung der Sicherungsmaßnahmen des Genehmigungsinhabers und der Schutzmaßnahmen des Staates erfolgt im Rahmen des sogenannten integrierten Sicherungs- und Schutzkonzepts.

Castor-Behälter

3. Lastannahmen und SEWD-Richtlinien

Die zu unterstellenden SEWD werden nach dem Stand der Erkenntnisse der zuständigen Behörden in Auslegungsanforderungen (Lastannahmen) festgelegt. Grundlage für den Stand der Erkenntnisse zur Festlegung der Lastannahmen sind die Gefährdungsbewertungen der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder.

Auslegungsgrundlagen in Form von Lastannahmen werden generisch entweder anlagen-typspezifisch oder tätigkeitsspezifisch oder für übergeordnete Bereiche wie die IT-Sicherheit festgelegt. Diese Lastannahmen beschreiben die Parameter und Elemente der zu unterstellenden Tatszenarien möglichst präzise und werden daher als Verschlusssache eingestuft. Die Lastannahmen bestimmen die Festlegung und die Auslegung von Sicherungsmaßnahmen und werden bei der Beurteilung ihrer Wirksamkeit herangezogen.

Die Lastannahmen werden durch das für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständige Bundesministerium (BMUV) im Benehmen mit dem Arbeitskreis II (Innere Sicherheit) der Innenministerkonferenz (IMK) beziehungsweise mit der von diesem Arbeitskreis beauftragten Kommission "Sicherung und Schutz kerntechnischer Einrichtungen" und dem Bundesministerium des Innern und unter Beteiligung der zuständigen atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden festgelegt.

Grundlage der Lastannahmen sind die Erkenntnisse und die Bewertungen der Sicherheits-, Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder.

Die Gefährdungsbewertung für kerntechnische Anlagen und Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland wird vom Bundeskriminalamt unter Einbeziehung weiterer Bundessicherheitsbehörden (unter anderem BMI, BND, BfV) und der Landeskriminalämter vorgenommen und in einem Gefährdungslagebild zusammengefasst. Ausgehend von dem Gefährdungslagebild und den weiteren Erkenntnissen der Bundes- und Landessicherheitsbehörden werden die sich hieraus ergebenden Risiken gemeinsam durch die Innen- sowie die an atomrechtlichen Verfahren beteiligten Bundes- und Landesbehörden analysiert.

Lastannahmen werden regelmäßig evaluiert. Die Evaluation erfolgt zum einen zyklisch, in der Regel spätestens nach drei Jahren, und zum anderen anlassbezogen, insbesondere nach Änderung der sicherheitsbehördlichen oder gutachterlichen Erkenntnislage über bestimmte Szenarien oder deren Auswirkungen.

Ausgehend von den Lastannahmen werden anschließend allgemeine sowie anlagentyp-spezifische Anforderungen und Maßnahmen zur Gewährleistung des erforderlichen Schutzes der kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen in SEWD-Richtlinien konkretisiert.

Der erforderliche Umfang der in den SEWD-Richtlinien festgelegten Anforderungen und Maßnahmen ist unter Berücksichtigung des Gefahrenpotentials der kerntechnischen Anlage oder Einrichtung zu bestimmen. Diese SEWD-Richtlinien werden in den zuständigen Gremien des Länderausschusses für Atomkernenergie unter Beteiligung der Vertreter der Kommission Sicherung und Schutz kerntechnischer Einrichtungen (KoSikern) in der Regel im Konsens beschlossen und von dem für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständigen Bundesministerium zur Anwendung empfohlen. Im Gemeinsamen Ministerialblatt werden die SEWD-Richtlinien je nach erfolgter Verschlusssachen-Einstufung angekündigt oder veröffentlicht.

Die allgemeinen SEWD-Richtlinien legen Anforderungen für bestimmte übergeordnete bauliche oder sonstige technische, personelle oder organisatorische Maßnahmen fest. Die anlagentyp- und tätigkeitsspezifischen SEWD-Richtlinien beschreiben generisch für den jeweiligen Anlagentyp oder die jeweilige Tätigkeit ein in sich schlüssiges Sicherungskonzept.

4. Geheimschutz

Sowohl für die in den Lastannahmen unterstellten SEWD als auch für die in den SEWD-Richtlinien konkretisierten Anforderungen und Maßnahmen zur Gewährleistung des erforderlichen Schutzes der kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen gilt, dass potentielle Täter die dort enthaltenen Informationen zur Umgehung der getroffenen Sicherungsmaßnahmen nutzen können. Daher sind die Lastannahmen und weite Teile der SEWD-Richtlinien als Verschlusssache eingestuft und nicht öffentlich zugänglich.

Stand: 28.04.2023

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