Keynote von Steffi Lemke zum 30-jährigen Bestehen des WBGU

22.06.2022
Seit 30 Jahren gibt der WBGU wichtige Impulse für eine klimaneutrale, ressourceneffiziente und biodiversitätsfreundliche Wirtschafts- und Lebensweise weltweit. Bundesumweltministerin Steffi Lemke bedankte sich bei dem Gremium.

Aktuelle Herausforderungen für die globale Nachhaltigkeitspolitik

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Professor Pittel,
sehr geehrte Frau Professor Schlacke,
sehr geehrte – derzeitige und ehemalige – Ratsmitglieder und Mitglieder der Geschäftsstelle,
sehr geehrte wissenschaftliche Mitarbeitende des WBGU,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

seit 30 Jahren gibt der WBGU der Bundesregierung wichtige Impulse für eine klimaneutrale, ressourceneffiziente und biodiversitätsfreundliche Wirtschafts- und Lebensweise weltweit. Von Urbanisierung bis Landwende, vom "Menschheitserbe Meer" bis zur digitalen Zukunft, vom Sicherheitsrisiko Klimakrise bis zur globalen Energiewende: Der WBGU beackert das gesamte weite Feld der globalen Umweltveränderungen, analysiert, warnt, und zeigt konkrete Lösungswege auf. Sie haben mit Begriffen wie dem "Globalbudget", den "Kipppunkten", dem "Trilemma der Landnutzung" oder dem "Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" Debatten entscheidend geprägt. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten Großartiges geleistet, und das erhoffe ich mir auch in Zukunft. Ihnen gebührt großer Dank und Anerkennung.

Ihr Blick ist breit, übergreifend und systemisch; die Lösungsvorschläge sind im besten Sinne "integriert". Ich meine damit, dass sie mehrere Probleme und deren Interaktion gleichzeitig adressieren. Das ist ein großes Plus in dieser Zeit der multiplen Krisen! Der politische Handlungskontext hat sich in den letzten zwei Jahren in Dimensionen verändert, die wohl niemand bis dahin so im Blick hatte.

Die Pandemie und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben die Welt ins Mark getroffen – sozial- und geopolitisch, gesundheitlich und wirtschaftlich. Unermessliches Leid für die Menschen in der Ukraine, Rohstoff- und Energieabhängigkeit, Lieferketten, Ernährungskrise, Verschiebungen der weltweiten Kräfteverhältnisse: Die Auswirkungen für unser weiteres gemeinsames Zusammenleben sind derzeit noch schwer abzusehen. Vieles ist unsicher oder steht auf dem Prüfstand.

Selbstverständlich ist und bleibt es eine Kernaufgabe des politischen Handelns der Bundesregierung, zur Beendigung dieses Krieges beizutragen, das Leid der Menschen vor Ort und auf der Flucht zu lindern und die weltweiten Folgen des Krieges abzumildern. Dabei werden auch Forderungen laut, etwa den Natur- und Biodiversitätsschutz jetzt zurückzustellen. Man spürt teilweise eine große Zögerlichkeit, wenn es um ökologische Fragen und Lösungsansätze geht. Ich sehe es als meine Aufgabe als Umweltministerin, hier entschlossen gegenzuhalten.

Wir brauchen Mut statt Zögerlichkeit. Alles andere wäre nicht vorausschauend gedacht und gehandelt. Natürlich mache auch ich mir Gedanken über die veränderten Rahmenbedingungen, und was sie für die Umweltpolitik bedeuten. Es ergibt aber keinen Sinn, eine Krise gegen die andere auszuspielen. Wir haben nicht die Zeit und nicht die Ressourcen, die Krisen nacheinander zu lösen. Es ist unerlässlich, dass wir jene Krisen, die mittel- und langfristig ebenfalls existenziell bedrohlich für die Menschheit sind, im Blick behalten und ohne Zögern angehen. Dazu gehören die Klimakrise und das Artenaussterben. Wir brauchen Erfolge wie das Mandat zur Aushandlung einer Plastikkonvention bis 2024, das die internationale Staatengemeinschaft Anfang März in diesem geopolitisch schwierigen Moment verabschiedet hat – einstimmig.

Die dreifache Umweltkrise aus Erderhitzung, Artenaussterben und Umweltverschmutzung ist menschengemacht. Sie bedroht die Grundlagen unseres Lebens – unserer Natur, unserer Versorgung, unserer Wirtschaft, unseres Zusammenhalts. Deutlicher kann es kaum werden, dass wir alle Krisen, nicht nur die planetaren, zusammendenken und gemeinsam lösen müssen. Und die Welt damit so behandeln, wie sie ist: eine Welt der Interaktion, der Zusammenhänge und Vernetzungen.

Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Aber ich werbe immer wieder um Unterstützung für diesen Weg. Ich bin sehr froh, dass ich den WBGU als kompetentes und unabhängiges wissenschaftliches Expertengremium dabei beratend an der Seite der Bundesregierung weiß.

Im Hauptgutachten über Städte schreiben Sie etwa, dass der Übergang in eine nachhaltige und möglichst vollständige Kreislaufwirtschaft in diesem Jahrhundert ein zentraler Baustein der Großen Transformation zur Nachhaltigkeit ist. In diesem Bereich hat es erfreulicherweise in letzter Zeit viel Bewegung gegeben. Die UN-Konferenz Stockholm+50 hat für einen kräftigen Schub in Richtung einer weltweiten Kreislaufwirtschaft gesorgt. Wir haben kürzlich beim Treffen der G7-Ministerinnen und Minister für Klimaschutz, Energie und Umwelt die "Berlin Roadmap" beschlossen – einen gemeinsamen Arbeitsplan für mehr Kreislaufwirtschaft in den nächsten Jahren.

Darauf möchte ich auch international weiter aufbauen. Wenn es gelingt, die Menge der benötigten Primärrohstoffe zu reduzieren und die eingesetzten Rohstoffe so weit wie möglich im Kreislauf zu halten, erhöht das die Resilienz und Krisenfestigkeit unserer Wirtschaft, trägt zur Sicherheit und stärkeren Unabhängigkeit bei und schont die globale Umwelt. Eine "Mehrgewinnstrategie" – wie Sie im WBGU sagen würden – par excellence.

Eine weitere solche "Mehrgewinnstrategie" ist der Natürliche Klimaschutz. Über den Schutz, die Wiederherstellung und nachhaltige Nutzung von Ökosystemen lassen sich der Erhalt der biologischen Vielfalt, Klimaschutz und Klima-Anpassung verbinden. Darüber hinaus können gesunde Ökosysteme zur Bewältigung weiterer gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen, zum Beispiel zur Ernährungssicherheit, zu einer sicheren Wasserversorgung und zur Pandemieprävention. Ich bin daher überzeugt, dass wir den Natürlichen Klimaschutz dringend weltweit vorantreiben müssen, im ländlichen wie im urbanen Raum. Dafür setzen wir uns – als Naturschutz- und als Klimaministerium – auch im Rahmen der nächsten Weltklima- und Weltnaturkonferenzen ein.

Es ist deshalb eine sehr gute Nachricht, dass die Weltnaturkonferenz nach vielen Verzögerungen nun noch in diesem Jahr stattfinden wird. Im Dezember in Montreal muss die internationale Gemeinschaft die Chance nutzen, sich zu einigen auf eine ambitionierte globale Vereinbarung für den Erhalt der biologischen Vielfalt und ein starkes und transparentes Umsetzungsregime. Natürlich auch internationale öffentliche Finanzierung – die Bundesregierung ist sich hier ihrer Verantwortung bewusst.

Ich weiß, wie umfassend und interdisziplinär Sie in Ihren Gutachten arbeiten. Sie als Beiratsmitglieder bringen Ihre Forschung, Ihr Wissen und Ihre Erfahrung in den Beirat ein. Sie diskutieren und ringen mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen und präsentieren uns am Ende eine integrierte Sicht der Welt mit Handlungs- und Forschungsempfehlungen. Und immer auch eine Vision. Sie leben damit vor, was ich für eine nachhaltige Welt für essentiell halte. Und Sie können stolz sein auf das, was Sie Gutachten für Gutachten erschaffen.

Für das alles möchte ich heute Danke sagen! Danke für 30 Jahre kompetente Politikberatung, danke an alle Beteiligten, danke für Ihr großes Engagement! Ich gratuliere dem WBGU ganz herzlich und wünsche Ihnen für heute anregende Diskussionen und einen schönen gemeinsamen Abend!

22.06.2022 | Rede Nachhaltigkeit

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