Interview mit Bundesumweltminister Jürgen Trittin

24.03.2005
Hinweis: Dieser Text stammt aus dem Pressearchiv.
Veröffentlicht am:
Laufende Nummer: Nr. 073/05
Thema: Ministerium
Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Leitung: Jürgen Trittin
Amtszeit: 27.10.1998 - 22.11.2005
15. Wahlperiode: 22.10.2002 - 22.11.2005

Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat dem "Spiegel" ein Interview für die neueste Ausgabe des Nachrichtenmagazins gegeben. Das Interview hat folgenden Wortlaut:

SPIEGEL: Herr Trittin, die SPD setzt sich im NRW-Wahlkampf von den Grünen ab. Ministerpräsident Steinbrück hat Ihnen gerade eine schädliche Distanz zu Wirtschaft und Technologie vorgeworfen. Was ist Ihre Antwort?

Trittin: Mir muss keiner was von neuen Techniken oder von Wachstum und Beschäftigung erzählen. Wir, SPD und Grüne, haben Regeln durchgesetzt, die den Betrieb von Uraltkraftwerken unrentabel machen. Das Ergebnis ist eine Investitionsoffensive wie sie Nordrhein-Westfalen in diesem Bereich noch nie gesehen hat. Die Industrie dort hat gerade angekündigt, fünf Milliarden in neue Kraftwerke zu investieren. Das heißt: Ambitionierte Umweltpolitik verhindert keinesfalls Investitionen, das genaue Gegenteil ist der Fall.

SPIEGEL: SPD-Landeschef Schartau wettert gegen ein anderes grünes Lieblingsprojekt, das Antidiskriminierungsgesetz. Er sagt, dass es Beschäftigung verhindere. Warum gehen manche Genossen gerade jetzt auf die Grünen los?

Trittin: Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Das Antidiskriminierungsgesetz wurde im Wesentlichen in SPD-geführten Ministerien vorbereitet. Außerdem sollte es, denke ich, ganz selbstverständlich sein, dass die Bundesrepublik europäisches Recht umsetzt. Die Vorstellung, dass man an der Massenarbeitslosigkeit etwas verändern würde, wenn man es erleichtert, Behinderte oder Menschen anderen Glaubens zu diskriminieren, ist doch absurd. Ich rate beiden Koalitionspartnern dazu, sich darauf zu konzentrieren, die Wahl in Nordrhein-Westfalen zu gewinnen.

SPIEGEL: Auch in der Öffentlichkeit herrscht der Eindruck vor, die Grünen seinen mit ihren Lieblingsthemen Umwelt und Verbraucherschutz eine Partei für gute Zeiten, nicht für Krisenzeiten.

Trittin: Ich finde, dass Arbeitsplätze Priorität haben. Arbeitslosigkeit grenzt Menschen aus. Eine überwiegende Mehrheit der Wähler schreibt uns Grünen hohe Kompetenzen in der Energiepolitik zu. Wir reden über den Kern von Industriepolitik. Und genau in diesem Bereich haben wir etwas vorgelegt, was zu Wachstum und zusätzlicher Beschäftigung geführt hat. Investitionen in neue hocheffiziente Gas- und Kohletechnologie. Die erneuerbaren Energien sind eine absolut boomende Branche, mit gut 120.000 Arbeitsplätzen. Das alte Vorurteil von Helmut Schmidt, die Grünen würden zu Lasten von Arbeitsplätzen Frösche über die Straße tragen, ist seit 20 Jahren widerlegt. Es gehört in die Mottenkiste.

SPIEGEL: Die Sozialdemokraten haben den Eindruck, dass die Politik der Koalition das Klientel der Grünen durchaus glücklich macht, das SPD-Klientel hingegen abschreckt. Ist die Analyse so falsch?

Trittin: In der ersten Legislaturperiode zwischen 1998 und 2002 mussten die Grünen eine ähnlich bittere Erfahrung machen wie jetzt die Sozialdemokraten. Bei uns war es damals der Einsatz im Kosovo und in Afghanistan, für die SPD ist es nun die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Den traditionellen Stammwählern der SPD fällt es offenbar nicht leicht, diese von SPD und Grünen gemeinsam eingeleiteten Veränderungen zu akzeptieren. Das macht es momentan so schwer für die SPD, ihre Klientel bei Wahlen zu mobilisieren.

SPIEGEL: Aber wenn die SPD zu weit abrutscht, werden auch die Grünen die Macht in NRW verlieren.

Trittin: Deshalb dürfen wir Grünen uns nicht in Selbstgefälligkeit zurücklegen und die Sozialdemokraten dürfen nicht in Selbstzerknirschung erstarren. Wir sind beide aufgefordert unsere Milieus zu 100 Prozent an die Urne zu bringen.

SPIEGEL: Wie soll das jetzt gelingen? Die Umfragen für Rot Grün sind denkbar schlecht.

Trittin: Wahlen werden am Wahltag entschieden, keinen Tag früher. Wir müssen ganz klar die Alternative benennen: Wir müssen in NRW und im Bund dafür kämpfen, dass Rot-Grün die Mehrheit erreicht. Wir wollen die schwarze Republik verhindern. Das können wir nur erreichen, wenn wir die Konfrontation mit dem Gegner suchen, wenn wir klar machen, dass die Union keine oder widersprüchliche Konzepte hat. Schluss mit der Selbstbeschäftigung also. Angriff. Das ist die Botschaft.

SPIEGEL: Sind der Koalition nicht noch mehr Fehler unterlaufen, als sich gegenseitig Vorwürfe zu machen?

Trittin: Es gibt aus meiner Sicht keinen Bedarf an weiterer Kritik an der Koalition. Der ist bereits übererfüllt.

SPIEGEL: Wie sehr schadet die Visa-Affäre ihrer Partei?

Trittin: In der Partei hat die Affäre bei weitem nicht die Bedeutung, die sie beispielsweise im SPIEGEL hat.

SPIEGEL: Weil man als Grüner gerne mal das Unangenehme ausblendet?

Trittin: Nein, weil für Sache relativ klar ist: Es hat Fehler gegeben, diese Fehler sind zu spät erkannt und korrigiert worden, aber sie sind inzwischen korrigiert worden. Wir Grünen haben die Auffassung: Jawohl, Menschen machen nun mal Fehler. Nun kann man da natürlich noch eine ganze Weile den Details nachgehen. Dafür gibt es den Untersuchungsausschuss. Was jetzt noch kommt, mag für die Geschichtsschreibung wichtig sein, aber aktuell gibt es keinen Handlungsbedarf. Denn: die Missbrauch ermöglichenden Verfahren bei der Visavergabe sind abgestellt.

24.03.2005 | Pressemitteilung Nr. 073/05 | Ministerium
https://www.bmuv.de/PM2589
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