dosb umwelt: Frau Ministerin, in Ihre Amtszeit fällt eine der großen Herausforderungen unserer Zeit: der notwendige sozial-ökologische Wandel in Deutschland. Hierfür bedarf es eines noch breiteren Rückhalts in der Bevölkerung und alle gesellschaftlichen Akteure sind aufgerufen hierbei zu unterstützen. Sehen Sie den organisierten Sport unter dem Dach des DOSB als gesellschaftspolitischen Bündnispartner für die notwendigen Transformationsprozesse? Gibt es bereits Pläne, die Potenziale des bürgerschaftlichen Umweltengagements im Sport zu fördern und die Bildung von Motiv- und Zielallianzen von Sport und Umweltschutz zu unterstützen?
Steffi Lemke: Sportvereine sind in Deutschland die mit Abstand mitgliedstärksten Freiwilligenorganisationen. Sie stellen sportliche Angebote in der Fläche bereit und vermitteln gleichzeitig Werte: Fairplay, Toleranz oder die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement. Ich freue mich, dass auch Umweltschutz und Nachhaltigkeit für die Sportverbände immer wichtiger werden. Gerade haben wir gemeinsam ein Projekt für Klimaschutz im Amateurfußball auf den Weg gebracht – zusammen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und dem Deutschen Fußball-Bund. Dafür wurde ein Werkzeugkasten entwickelt, der die Folgen der Klimakrise in verschiedenen Sportbereichen aufzeigt und Tipps zur Anpassung enthält. Es gibt noch viele andere Themen, wie etwa Naturschutz oder nachhaltige Lieferketten, bei denen Umwelt und Sport zusammenwirken sollten. Der Dialog mit dem organisierten Sport, gerade auch mit dem DOSB, ist für mich sehr wichtig. Ihre Expertise und das Wissen um die Situation und die Möglichkeiten vor Ort sind sehr hilfreich. Ich bin überzeugt: Über den Sport kann das Engagement für die Umwelt noch viel stärker als bisher in die Fläche getragen werden.
In Ihrer Antrittsrede im Deutschen Bundestag im Januar stellten Sie fünf Kernaufgaben vor, die Sie angehen wollen. Was den Klimaschutz angeht, planen Sie bestehende Förderprogramme zu verstärken, auch um kommunale Anpassungsstrategien zu unterstützen. Viele Sportverbände und -vereine engagieren sich für mehr Klimaschutz. Sie nutzen bereits die öffentlichen Anreizprogramme für mehr Energieeffizienz, erneuerbaren Strom, klimafreundliche Mobilität oder klimaneutrale Gebäude. Angesichts der überwiegend sanierungsbedürftigen Sportstätten und einem Sanierungsstau von 31 Milliarden Euro in Deutschland braucht es jedoch aus Sicht des DOSB einen nationalen Dekarbonisierungsplan für die Sportinfrastruktur, um in diesem Bereich eine deutliche CO2- Minderung zu erzielen und den erforderlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele der Bundesregierung zu leisten. Kann der gemeinwohlorientierte Sport bei der Konzepterstellung und der Finanzierung eines solchen ambitionierten Vorhabens für mehr Klimaschutz im Sport auf ihre Mitwirkung hoffen?
Wenn es gelingt, die notwendige Modernisierung der Sportstätten und ihrer Infrastruktur für einen grünen Umbau zu nutzen, wäre das eine doppelte Chance: Zum einen für den Umwelt- und Klimaschutz, zum anderen für die Sportlerinnen und Sportler selbst. Denn klimafreundliche Gebäudetechnik, energetische Sanierung und Fotovoltaik-Anlagen reduzieren die CO2-Emissionen. Wassermanagement oder Gründächer sind Anpassungen an die Folgen der Klimakrise. Verschattung und Kühlung führt dazu, dass Sportlerinnen und Sportler, auch bei hohen Temperaturen trainieren können. Ich bin überzeugt: Bei der Entwicklung nachhaltiger Sportstätten kommt es auf das Zusammenwirken aller Akteure an: von Kommunen und Sportvereinen vor Ort, von Sportverbänden und Bund und Ländern. Bei der Förderung kann der Bund einen Beitrag leisten. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, künftig mehr in Sportstätten von Kommunen und Vereinen zu investieren und dabei besonders auf Nachhaltigkeit zu achten. Dafür gibt es schon jetzt gute Ansätze: Neben Kommunen können Sportvereine über die Kommunalrichtlinie der Nationalen Klimaschutzinitiative Klimaschutzmaßnahmen beantragen. Seit 2008 konnten über 1.900 Sportvereine von dieser Förderung profitieren. Es gibt aber auch viele Angebote der Länder und Kommunen oder Initiativen von Sportverbänden, wie etwa den Klimafonds des Deutschen Alpenvereins. Jetzt kommt es darauf an, dass diese Förderangebote vor Ort bekannter werden und leicht zugänglich sind. Ver- eine müssen wissen, worauf es bei einer ökologischen Modernisierung ankommt.
Der DOSB macht sich für eine nachhaltige und umweltgerechte Ausrichtung des Sports stark und hat dazu unter anderem 2019 eine Nachhaltigkeitsstrategie für seine Geschäftsstelle verabschiedet. Eine solche nachhaltige Ausrichtung ist für die Zukunft des Sports sowie der Sportorganisationen unerlässlich und bietet diesen weitreichende Entwicklungschancen. Doch gemessen an der Aufgabe braucht der Sport bessere Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Sportentwicklung und auch mehr Programme und Projekte für einen nachhaltigen Sport, wie es auch der Beirat "Umwelt und Sport" des Bundesumweltministeriums in seinem Positionspapier "Nachhaltiger Sport 2030" fordert. Wie wichtig ist Ihnen die Bereitschaft des Sports im Rahmen seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen beizutragen?
Ich sehe die Sportverbände als wichtige Akteure für die notwenige sozial-ökologische Transformation, denn sie sind fest in der Gesellschaft verankert. Bei der Formulierung von Strategien auf Bundesebene wird ihnen deshalb eine wichtige Rolle beigemessen, etwa bei der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Es freut mich, dass Sportverbände in den letzten Jahren immer mehr Strategien für Nachhaltigkeit, Umwelt- oder Klimaschutz entwickelt haben. Denn nachhaltiger Sport bedeutet auch verantwortliches, strategisches Handeln. Und das muss auch in den eigenen Strukturen verankert und gelebt werden. Staatliche Akteure und die Sportverbände können bei der Umsetzung solcher Strategien viel voneinander lernen. So hat die Bundesregierung mit ihrem Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit Ansätze aufgezeigt, wie ökologische und soziale Aspekte etwa im Bereich Mobilität, Ernährung oder Beschaffung konkret in nachhaltiges Handeln umgesetzt werden können.
Der DOSB verfolgt das Leitbild des natur- und landschaftsverträglichen Sports, denn, neben ihrem Eigenwert, wirken gesunde Natur und intakte Landschaft positiv auf den Menschen. Ein Mensch, der diese positive Wirkung in Verbindung mit Bewegung und Sport spürt, ist eher bereit sich für den Erhalt einzusetzen. Sport in städtischen Naturräumen steht zudem für Naturerfahrung im unmittelbaren eigenen Lebensumfeld. Insofern ist es folgerichtig, dass gemäß Bundesnaturschutzgesetz das Betreten der freien Landschaft zum Zweck der Erholung, einschließlich der natur- und landschaftsverträglichen sportliche Betätigung, gestattet ist. Das Betretensrecht ist aber im Zuge der verstärkten Naturnutzung während der COVID-19-Pandemie unter Druck gekommen. Welche Potentiale messen Sie daher – auch in Pandemiezeiten – der Natursensibilisierung durch Sport für ein besseres Umwelt- und Naturschutzbewusstsein der Bevölkerung bei? Wie bewerten Sie die Bemühungen des DOSB, durch Dialoge und Kooperationen von Sport- und Naturschutzinstitutionen einen ausgewogenen Interessenausgleich zu erreichen, der Einschränkungen durch "Lenkung" und ordnungsrechtliche Maßnahmen weitestgehend vermeidet?
Sie haben recht, in der Corona-Pandemie ist das besonders aufgefallen: In den Parks wird gejoggt, die Anwohnerinnen und Anwohner machen dort Workouts und Yoga oder tanzen und trommeln. Viele haben die Naherholungsgebiete für die Wanderung, die Radtour oder den Spaziergang am Wochenende wiederentdeckt. Mehr als 15 Millionen Menschen in Deutschland treiben wöchentlich Sport im Freien. Das ist eigentlich eine erfreuliche Entwicklung. Gleichzeitig gibt es an manchen Orten und zuletzt die Covid-19-Pandemie auch negative Folgen, also zu viele Erholungssuchende zur selben Zeit am selben Ort oder gar in Schutzgebieten, die gar nicht betreten werden sollen. Lösungen dafür können am ehesten auf lokaler Ebene gefunden werden, weil da alle Akteurinnen und Akteure die Gegebenheiten kennen und Alternativen und Entlastungen direkt umsetzen können. Einen weiteren wichtigen Lösungsansatz bietet die Digitalisierung. Stichwort Besucher*innenlenkung. Das heißt: Idealerweise führt uns die Outdoor-App eben nicht durch ein Naturschutzgebiet und zeigt auch wenig besuchte Orte. Dazu fördert mein Ministerium derzeit ein Projekt in mehreren deutschen Tourismusregionen. Mithilfe von Echtzeitdaten und Künstlicher Intelligenz können so "Over-Tourism" und Nutzungskonflikte vermieden werden. Und klar ist: Der schon erwähnte BMUV-Beirat "Umwelt und Sport" wird sich auch künftig intensiv mit dem Spannungsfeld zwischen Natursportaktivitäten und dem Erhalt sensibler Naturräume befassen.
Die nachhaltige Ausrichtung von Sportveranstaltungen ist dem DOSB ein wichtiges Anliegen. Er unterstützt Sportverbände und Ausrichter unter anderem mit dem online verfügbaren Leitfaden "Green Champions 2.0 für nachhaltige Sportveranstaltungen", der mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums erstellt und weiterentwickelt wurde. Das BMUV fördert auf dieser Basis die intensiven Bemühungen des Deutschen Fußball-Bundes, die Fußballeuropameisterschaft 2024 nachhaltig auszurichten. Was kann das BMUV dazu beitragen, dass die aus der nachhaltigen Ausrichtung einer solchen Sportgroßveranstaltung mit Leuchtturmcharakter gewonnenen Erkenntnisse auch bei den vielen weiteren großen, mittleren, aber auch kleinen Sportveranstaltungen in Deutschland umgesetzt werden?
Vorab zur Einordnung: Gerade nach den Olympischen Winterspielen in Peking und vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar werden Sportgroßveranstaltungen in der Öffentlichkeit mit Recht nochmal kritischer betrachtet. Eine Sportgroßveranstaltung wie die EURO 2024 in Deutschland bietet da ein großes Potential, international ein positives Beispiel zu setzen. Und sie kann national zu einer nachhaltigeren Ausrichtung des Sports beitragen. Für Sportgroßveranstaltungen gilt: Der ökologische Fußabdruck muss so weit wie möglich reduziert werden. Dann können Großevents zum Beispiel durch Pilotprojekte im Bereich Mobilität, Klimaanpassung oder Energie eine Vorbildfunktion entwickeln. Wichtig ist, dass die gewonnenen Erfahrungen für andere nutzbar gemacht werden. Zum Beispiel durch konkrete Handreichungen. Mein Ministerium plant beispielsweise, die in Vorbereitung der EURO 2024 erarbeiteten Konzepte und Methoden auch anderen Veranstaltern zur Verfügung zu stellen. Der "Green Champions"-Leitfaden enthält konkrete, praxisbezogene und auf die eigene Veranstaltung anpassbaren Empfehlungen – insbesondere für Vereine auf lokaler Ebene. Das BMUV setzt sich für eine noch breitere Anwendung dieser Leitlinien ein. Ziel muss es sein, dass Nachhaltigkeitskriterien schon bei der Planung die Grundlage für Veranstaltungen unterschiedlicher Größe bilden. Die Zeit bis zur EURO 2024 und die dadurch bestehende öffentliche Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsthemen möchte ich nutzen, um durch entsprechende Vorhaben, Beratungs- und Informationsangebote auch den Breitensport nachhaltiger aufzustellen. So können Sport und Nachhaltigkeit in Deutschland langfristig von dem Event gleichermaßen profitieren.
Die Fragen stellte Gabriele Hermani, Berlin.
Quelle: DOSB-Informationsdienst "Sport schützt Umwelt"