Die ersten Pilotprojekte zur Bergung von Weltkriegsmunition aus Versenkungsgebieten konnten abgeschlossen werden. Die Ergebnisse der Auswertungen liegen jetzt vor.
Im Testgebiet der Lübecker Bucht mit Hunderten von Munitionshaufen auf dem Meeresboden zeigte sich, wie die komplexe Aufgabe einer systematischen Bergung von Munition im Meer im großen Stil und im praktischen Alltag bewältigt werden kann. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde hier in größerem Umfang Munition geborgen – vorsorglich, um künftige Umweltschäden zu vermeiden. Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen nun die Entwicklung einer schwimmenden Industrieanlage im Rahmen des BMUV-Sofortprogramms "Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee". Mit ihr könnten künftig Munitionsaltlasten direkt auf See umweltgerecht entsorgt werden.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke: "Diese Bundesregierung hat zum ersten Mal überhaupt ein umfangreiches Programm gestartet, um alte, hochgiftige Munition aus dem Zweiten Weltkrieg aus Nord- und Ostsee zu räumen. Damit schützen wir nicht nur unsere Meere und ihre reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt, sondern letztlich auch uns Menschen. Auf dem Weg zu einer groß angelegten Bergung mit einer Industrieplattform sind wir nun einen wichtigen Schritt vorangekommen: Die Pilotprojekte in der Lübecker Bucht wurden erfolgreich abgeschlossen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die eingesetzte Technik gut funktioniert. Aber sie muss weiterentwickelt werden, um manchen Situationen besser gerecht zu werden, etwa hoher Munitionsdichte am Meeresboden. Der Zustand der geborgenen Munition war teils sehr unterschiedlich, manche Patronen zerfielen förmlich. Ihr giftiger Inhalt, der Sprengstoff, gelangt ins Meerwasser. Das zeigt, wie dringlich die Umsetzung des Sofortprogramms Munitionsbergung ist."
Im Verlauf der Pilotierung konnten zahlreiche Ableitungen für den Bau und auch einen späteren Regelbetrieb einer solchen Anlage getroffen werden. Insbesondere wurde bestätigt, dass bereits verfügbare Technik und Technologie häufig schon nutzbar sind, aber teils weiterentwickelt und angepasst werden müssen.
Das sind die wichtigsten Erkenntnisse der Pilot-Bergung in der Lübecker Bucht:
- Die eingesetzte Technologie funktioniert bereits jetzt sehr gut. Für die speziellen Erfordernisse in Versenkungsgebieten mit dichter Belegung von Munitionsaltlasten muss sie aber angepasst und auch noch weiterentwickelt werden – etwa durch feinfühligere Greifer und eine bessere Ausleuchtung der Arbeitsbereiche.
- Munition liegt auch in der Ostsee nicht nur sichtbar auf dem Meeresboden. In einigen Gebieten ergaben magnetische Untersuchungen erheblich mehr Anomalien, als andere bildgebende Verfahren bislang aufzeigen konnten: Ein Teil der Munition ist demnach metertief im Sediment versunken. Wie groß der Anteil im Verhältnis zur sichtbaren Munition ist, muss noch erforscht werden. Dafür ist eine detailliertere Vorarbeit im Rahmen der Detektion erforderlich, um das für die Bergungsarbeiten grundlegende Lagebild zu verbessern.
- Der Zustand der Munition ist, oft bei gleichem Typ, sehr unterschiedlich. Während manche Hüllen noch intakt sind, zerfallen andere vollständig und geben vermehrt Sprengstofftypische Verbindungen frei. Das verstärkt noch einmal die Dringlichkeit des Sofortprogramms.
- Es entsteht keine zusätzliche Umweltbelastung durch die Bergungsarbeiten. Beim begleitenden Umweltmonitoring wurden im Umfeld der Arbeiten keine erhöhten Werte giftiger Sprengstoffrückstände gemessen. Das Hantieren mit der Munition setzt also nicht mehr Schadstoffe frei als der natürliche Zerfall.
Weitere Bergungsarbeiten werden vorbereitet
Im Sommer 2025 werden in der Mecklenburger Bucht vor Boltenhagen noch weitere Pilot-Bergungsarbeiten durchgeführt, hier erstmals im Umfeld eines ursprünglich mit Munition beladenen Wracks. In diesem Gebiet besteht weiterhin die Herausforderung, mit losem, bereits länger offen auf dem Meeresboden liegenden Treibladungen in Stangenform ("Nitrocellulose") umzugehen.
Parallel bereits angelaufen ist das mehrmonatige Vergabeverfahren für die Entwicklung und den Bau der schwimmenden Industrieanlage. Es wird noch bis zum Herbst dauern. Die Aufbereitungs- und Entsorgungsanlage soll danach im Rahmen einer "Innovationspartnerschaft" entwickelt werden: Diese besondere Form eines Vergabeverfahrens wird genutzt, wenn das zu beschaffende Produkt so oder ähnlich noch nie gebaut wurde. Eine mobile Anlage zur industriemäßigen Entsorgung von Munitionsaltlasten direkt auf See hat es bisher noch nicht gegeben – deshalb ist die Definition und Entwicklung dieses innovativen Produkts Teil der Leistung der Ausschreibung. Der Gewinner der Ausschreibung wird gemeinsam mit dem BMUV ein Gesamtsystem entwickeln, das vorgegebene Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Kosten erfüllt. Nur wenn diese Eckdaten erreicht werden, können Konstruktion, Bau und Erprobung der Anlage erfolgen. Der gesamte Prozess wird voraussichtlich bis Ende 2026 dauern.
Risiken für Gesundheit und Meeresumwelt
Bis zu 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition liegen nach heutigem Wissen auf dem Meeresgrund, teilweise nur wenige Kilometer von unseren wundervollen Stränden an Nord- und Ostsee entfernt. 2019 gab es den Weckruf aus der Wissenschaft, dass aus den verrostenden Kampfmitteln bereits heute Sprengstoff (TNT) und dessen Abbauprodukte austreten. In Muscheln und Fischen, die in der Nähe von Munitionsfundorten leben, konnten bereits Spuren dieser Stoffe nachgewiesen werden. Damit war der Nachweis erbracht, dass diese Stoffe auf lange Sicht auch in unsere Nahrungskette gelangen könnten. Neben den bekannten Risiken, unter anderem für Fischer, die in ihren Netzen Munitionskörper mit verrosteten, teilweise geöffneten Hüllen finden, oder auch Risiken für die Seeschifffahrt und den Tourismus, diskutieren wir seitdem auch das potenzielle Risiko für Meeresumwelt und die menschliche Gesundheit.