Rede von Steffi Lemke zu Europe Calling "In den Abgrund?" – Webinar zum Tiefseebergbau

07.03.2023
Bundesministerin Steffi Lemke
Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat beim Europe Calling-Webinar zum Thema Tiefseebergbau eine Rede gehalten und betonte, dass Deutschland bis auf Weiteres keine Tiefseebergbauvorhaben unterstützen wird.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Fries,
Herr Trent,
Frau Levin,
Frau Becker,
liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

vielen Dank für die freundliche Begrüßung und die Einladung zum Webinar. Ich freue mich, hier zu diesem wichtigen und höchst aktuellen Thema zu sprechen. Im Erklär-Video haben Sie ja schon einen guten Überblick bekommen, worum es beim Tiefseebergbau geht.

Gesunde Weltmeere sind eine entscheidende Voraussetzung für das Überleben der Menschheit. Sie regulieren das Klima, liefern uns Nahrung. Wir nutzen sie zur Erholung und als Transportwege. Außerdem bieten sie Lebensraum für einen unermesslichen Reichtum an Arten.

Wenn die Ozeane geschützt werden, schützen wir auch uns Menschen. Dass sich die Staatengemeinschaft jetzt in New York auf ein verbindliches Abkommen für die Hohe See geeinigt hat, ist ein historischer Erfolg, der mich persönlich tief bewegt. Auch die Finanzzusagen von fast 18 Milliarden Euro für den Meeresschutz auf der "Our Oceans" Konferenz in Panama in der vergangenen Woche sind ein großer Anlass zur Hoffnung.

Es wird nun auf die Umsetzung des Abkommens für die Hohe See ankommen. Denn unsere Meere sind zunehmenden Belastungen ausgesetzt. Besonders durch Fischerei, Schifffahrt und Offshore-Industrien, aber auch, weil sie rücksichtslos als Müllhalde für alle mögliche Arten von Schadstoffen, Plastik und Sonstiges genutzt werden. Dazu kommt die Klimakrise, durch die der Ozean immer wärmer und immer saurer wird, was schon jetzt verheerende Auswirkungen auf die Tiere und Pflanzen der Meere hat.

Und just in dieser Zeit diskutieren wir über die Zulassung einer weiteren kommerziellen, großflächigen und schädlichen Nutzung der Meere: der Ausbeutung von Metallen am Meeresgrund der internationalen Tiefsee. Steuern wir nun "in den Abgrund" – um den Titel des Webinars aufzugreifen – weil die Menschheit ihren Hunger nach Rohstoffen in den entlegensten Ecken des Planeten stillen will?

Die Position der Bundesregierung zum Tiefseebergbau ist klar. Da es erhebliche Wissenslücken gibt, sehen wir keine tragfähige Grundlage für den Abbau von Rohstoffen. Deutschland wird daher bis auf Weiteres keine Tiefseebergbauvorhaben unterstützen. Und wir stehen im Moment beim Tiefseeschutz international vor entscheidenden Weichenstellungen. Auf beide Punkte – unsere Position und die internationalen Verhandlungen – möchte ich genauer eingehen.

Nach wissenschaftlicher Einschätzung ist der Tiefseebergbau mit erheblichen Risiken verbunden. Seine möglichen Folgen können wir noch gar nicht absehen. Denn die Wissensbasis über die Ökosysteme in tausenden Metern Wassertiefe ist extrem gering.

In jeder Greiferprobe aus der Tiefsee befinden sich Lebewesen, die die Wissenschaft erst noch benennen muss und deren Lebensweise im Geflecht ihres Ökosystems erst recht gänzlich unbekannt ist. Verlässliche Aussagen über die Auswirkungen von aufgewirbelten Sedimenten, von Schadstoffaustritten oder von Schall- und Lichtemissionen sind im Moment schlichtweg unmöglich.

Die einzig vernünftige Konsequenz ist, auf den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu verzichten, solange ernste Schäden der Umwelt nicht ausgeschlossen werden können.

Deutschland hat deswegen bei der letzten Ratssitzung der Internationalen Meeresbodenbehörde ISA im November eine "precautionary pause", eine vorsorgliche Pause, beim Tiefseebergbau gefordert. Wir haben erklärt, dass wir bis auf Weiteres keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee unterstützen werden.

Wir werben aktiv dafür, dass auch andere Staaten das Vorsorgeprinzip streng umsetzen. Und wir freuen uns darüber, dass die Gemeinschaft der Staaten, die für einen konsequenten Schutz der Tiefsee eintreten, stetig wächst.

Bereits im Laufe des letzten Jahres haben sich einige Pazifikstaaten, Costa Rica, Chile, Spanien, Neuseeland und Frankreich zu einem Moratorium, einer precautionary pause oder gar zu einem Verbot von Tiefseebergbau bekannt. Inzwischen sind weitere Staaten mit ähnlichen Forderungen gefolgt, zuletzt Kanada anlässlich der internationalen Meeresschutzkonferenz IMPAC in Vancouver. Bei der "Our Oceans" Konferenz in Panama letzte Woche war der Saal der Unterstützerinnen und Unterstützer prall gefüllt.

Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass sich in den letzten Jahren auch viele Banken und globale Industriekonzerne gegen die Ausbeutung der Tiefsee ausgesprochen haben. Darunter BMW – das werden wir gleich hören – ebenso wie VW, Volvo, Samsung und viele andere. Sie sehen keine Notwendigkeit für die Bergung dieser Ressourcen.

Jetzt kommt es auch darauf an, die Wissenslücken in der Tiefseeforschung nicht nur zu konstatieren, sondern aktiv daran zu arbeiten, sie zu schließen. Wir werben dafür, die precautionary pause konstruktiv zu nutzen.

Die Bundesregierung finanziert die Meeres- und Polarforschung jährlich mit 400 Millionen Euro, in erheblichem Maße auch die Erforschung der Tiefsee in Gebieten außerhalb nationaler Rechtsprechung. Wir engagieren uns mit unserer modernen Forschungsflotte, um die Weltmeere, deren Ökosysteme und ihre Funktionen im globalen Klima besser zu verstehen. Nur mit einer deutlich verbesserten Wissensgrundlage können zukunftsfähige Entscheidungen, auch solche zum Tiefseebodenbergbau, getroffen werden.

Aktuell dürfen wir allerdings nicht die Augen davor verschließen, dass die Gefahr eines verfrühten Beginns von Tiefseebergbau sehr real ist – obwohl bisher keine gültigen Abbauregularien existieren. Eine Sonderklausel im internationalen Seerecht erlaubt es, dass bereits ab Sommer dieses Jahres erste Anträge für kommerzielle Tiefseebergbauvorhaben bei der Internationalen Meeresbodenbehörde eingereicht werden können. Die Ankündigung eines solchen Antrags steht seit Juni 2021 im Raum, und die Staatengemeinschaft muss sich schnellstmöglich darauf vorbereiten.

Wir befinden uns daher in intensiven Gesprächen mit anderen Staaten der Internationalen Meeresbodenbehörde, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn ein solches "what-if-Szenario" eintritt. Hier gibt es verschiedene Optionen. Die beste Option wäre es meiner Meinung nach, wenn es baldmöglichst einen Ratsbeschluss der Internationalen Meeresbehörden gäbe, der den Umgang mit eingehenden Anträgen festlegt. Denn so könnten wir eine positive Empfehlung durch das einschlägige Fachgremium der Meeresbodenbehörde verhindern. Es darf nicht dazu kommen, dass die Staatengemeinschaft unbeabsichtigt in ein Zeitalter des Tiefseebergbaus hinein schlafwandelt.

Unabhängig von diesen brandaktuellen Diskussionen und auch unabhängig von unserer grundsätzlichen Positionierung zum Tiefseebergbau müssen wir daher weiterhin den intensiv laufenden Verhandlungsprozess zu den Abbauregularien aktiv und konstruktiv begleiten.

Dieser Verhandlungsprozess ist sehr kleinteilig – die Regelungsmaterie bewegt sich zwischen fachlich hochspezifischen Umweltstandards, institutionellen und Haftungsfragen, Gebühren- und Zahlungsmodalitäten bis hin zu Mechanismen zu Compliance und Enforcement. Die Komplexität ist sicher einmalig im internationalen Recht und nicht zuletzt müssen alle Details am Ende mit 168 Staaten konsentiert werden.

Dennoch: unser Ziel in diesen Verhandlungen ist ein robustes, effektives und verbindliches Regelungswerk zur Verwaltung der Bodenschätze in der Tiefsee. Dieses Regelwerk muss transparente Verfahren festlegen, den wirksamen und nachhaltigen Schutz der Meeresumwelt garantieren und die Beweispflicht hierfür beim Antragsteller verorten.

Wir stehen beim Tiefseeschutz an einem entscheidenden Punkt der Politikgestaltung. Es liegt heute an uns, die richtigen Entscheidungen zu treffen – Entscheidungen die wir im Nachhinein nicht bereuen, die nicht zulasten eines lebensfähigen Planeten und nicht zulasten zukünftiger Generationen ausfallen.

In New York haben wir vergangene Woche bewiesen, dass wir auch als komplexe, von sehr unterschiedlichen Interessen getriebene Staatengemeinschaft vernünftige und notwendige Entscheidungen treffen können. Das Abkommen zum Schutz der Biodiversität auf Hoher See BBNJ wurde endlich beschlossen. Das ist ein großer Erfolg für den Multilateralismus und den Schutz der Meere. Wir haben es beim Schutz der internationalen Tiefsee mit enormen Herausforderungen zu tun – aber es gibt eben zugleich auch großen Anlass zur Hoffnung.

Vielen Dank.

07.03.2023 | Rede Meeresschutz

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