Hintergrundpapier zum Masterplan Stadtnatur
FAQs
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Für die Menschen ist es wichtig, in ihrem direkten Wohnumfeld Natur erleben zu können. Auch für die Erhaltung der biologischen Vielfalt haben städtische Lebensräume wesentliche Bedeutung. Zum Beispiel sind für ursprünglich in Höhlen brütende Arten "Ersatzlebensräume" in Nischen und Spalten an Gebäuden überlebenswichtig.
Öffentliche Grünflächen liegen in der Regel in der Verantwortung der Kommunen. Der Bund wirkt für diese kommunalen Aufgaben rahmengebend und fördernd sowie bei der Entwicklung übergreifender Instrumente mit. Im Masterplan Stadtnatur sind in der Zuständigkeit des Bundes liegenden Maßnahmen aufgenommen. Insgesamt wird die Bundesregierung mit dem Masterplan in 14 Schwerpunktbereichen 26 Maßnahmen für mehr Arten- und Biotopvielfalt in unseren Städten in Angriff nehmen.
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Der Masterplan umfasst rahmengebende rechtliche Anpassungen, die Verbesserung der Förderung im Hinblick auf die Erhaltung und Entwicklung von Stadtnatur, innovative Formate der Öffentlichkeitsarbeit sowie die Erprobung neuer Ansätze und die Entwicklung von Arbeitshilfen für lokale Akteure.
Unter anderem wird ein neuer Förderschwerpunkt Stadtnatur beim Bundesprogramm Biologische Vielfalt des BMU geschaffen. Das Bundesnaturschutzgesetz soll geändert werden, um die kommunale Landschaftsplanung zu stärken. Technische Regeln für das städtische Gewässer- und Niederschlagsmanagement sollen überprüft werden, um die Anpassung an den Klima-wandel mit der Schaffung von vielfältigen Lebensräumen zu verbinden.
Die Maßnahmen werden überwiegend noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt oder in Angriff genommen.
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In diesem Masterplan wird der Begriff Stadtnatur als Gesamtheit aller Lebensräume innerhalb einer Stadt verstanden, die für die Artenvielfalt von Bedeutung sind. In diesem Sinne können unterschiedliche Freiflächen und bauliche Elemente in der Stadt Bestandteil von Stadtnatur sein: vielfältig und naturnah gestaltete Bereiche in privaten Gärten, öffentlichen Grünanlagen, Klein- und Gemeinschaftsgärten, auf Friedhöfen, an Straßen und Wegen sowie Sport- und Spielplätzen, aber auch Nistplätze und Quartiere für Vögel und Fledermäuse an Gebäuden.
Alle diese Bestandteile bilden gemeinsam mit Stadtwäldern, Brachen mit Spontanvegetation, Strukturelementen wie Hecken und Säume an Agrarflächen sowie Gewässern mit deren Auen ein Gerüst für die Vernetzung in der Stadt sowie mit der umgebenden Landschaft. Damit reicht Stadtnatur vom Einzelbaum, über den insektenfreundlichen Garten bis hin zum renaturierten Bachlauf und naturnahen Stadtwald.
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Der Indikator für die Artenvielfalt im Siedlungsbereich zeigt, dass die Bestandssituation für die Indikatorarten (Vögel) trotz eines positiven Entwicklungstrends noch weit vom Zielwert der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt entfernt ist. Gründe hierfür liegen in erster Linie in der zunehmenden Versiegelung von Flächen, der Gebäudesanierung sowie dem Verlust naturnaher Lebensräume.
Urbane Räume werden für "typische" Siedlungsarten als Lebensraum immer unattraktiver. Beeinträchtigt sind insbesondere gebäudegebundene Vogel- und Fledermausarten, wie etwa Mauersegler und Hausrotschwanz oder Graues Langohr und Breitflügelfledermaus. Positiv entwickeln sich bisher die Bestände vieler ehemaliger Waldarten, wie Schleiereule und Wanderfalke, die das wachsende und alternde Grünvolumen in den Städten zunehmend als Lebensraum erschließen.
- Biologische Vielfalt in Deutschland – Rechenschaftsbericht 2017
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Der Bericht "Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Ökosystemleistungen in der Stadt" legt dar, dass Stadtnatur zahlreiche Ökosystemleistungen erbringt und damit maßgeblich dazu beiträgt, die Gesundheit der Stadtbevölkerung zu schützen und deren Lebensqualität zu erhöhen. Dies erfolgt vor allem durch regulierende (zum Beispiel Temperaturregulation), kulturelle (zum Beispiel Erholung) und versorgende Leistungen (zum Beispiel Nahrungsmittel).
Der Bericht "Ökosystemleistungen in der Stadt" hat die Erkenntnisse unterschiedlicher Studien zu den Leistungen von Stadtnatur zusammengeführt. Hier einige Beispiele:
- Freiflächen im Wohn- oder Arbeitsumfeld aufzusuchen, fördert allgemein die Gesundheit und auch sozialer Beziehungen und kann Ungleichheiten bei der Gesundheit unterschiedlicher sozialer Gruppen vermindern.
- Sommerliche Höchsttemperaturen werden durch städtische Vegetation deutlich gesenkt. Auf 50 bis 100 Meter breiten Grünflächen wurde an heißen und windstillen Tagen eine Abkühlung von 3 bis 4 Grad Celsius gegenüber der angrenzenden Bebauung festgestellt.
- Stadtgrün leistet einen großen Beitrag zur Luftreinhaltung. Bäume filtern Staub und können die Feinstaubbelastung um 5 bis 10 Prozent reduzieren. Bei mehreren dichten, hintereinanderliegenden Vegetationsstrukturen sogar um bis zu 15 Prozent.
- Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen) können sich nach einem 20-minütigen Spaziergang im Park deutlich besser konzentrieren als nach einem ebenso langen Spaziergang in einem Wohngebiet oder in der Innenstadt.
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Stadtnatur bietet multifunktionale Lösungen über den reinen Naturschutz hinaus. Sie er-bringt als urbane grüne Infrastruktur zahlreiche ökologische, aber auch soziale und ökonomische Leistungen, die es gilt, strategisch zu erschließen. Insofern schafft Stadtnatur nicht nur Raum für Artenvielfalt, sondern bietet multifunktionale Lösungen für unsere Städte, wie zum Beispiel grüne Erholungsräume oder grüne Bewegungsachsen durch die Stadt. Die Grün- und Freiraumentwicklung sollte deshalb noch stärker als bisher zu einem integralen Bestandteil der Stadtentwicklung werden.
Eine Herausforderung besteht darin, den Zielkonflikt zwischen "Nachverdichtung" und "Freiraumentwicklung" zu moderieren. Hierbei sind integrierte Sicht- und Handlungsweisen der beteiligten Akteurinnen und Akteure erforderlich, um die Erhaltung und Erlebbarkeit der biologischen Vielfalt in Städten und Kommunen zu verbessern.
Die Etablierung einer integrierten Stadtentwicklung ist Ziel der Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Kommunen zur Nationalen Stadtentwicklungspolitik. Die Initiative setzt die Inhalte der LEIPZIG CHARTA zur nachhaltigen europäischen Stadt seit 2007 in Deutschland um. Aufgabe einer integrierten Stadtentwicklung ist es in diesem Sinne, den aktuellen, zumeist komplexen und miteinander zusammenhängenden ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen in den Städten und Gemeinden fachübergreifend zu begegnen.
Integrierte Stadtentwicklungspolitik ist ein Prozess. In diesem Prozess findet die Koordinierung städtischer Aufgaben- und Politikfelder in räumlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht statt. Stadtnatur stellt hierbei einen eigenen zu berücksichtigenden Belang dar. Beispiels-weise ist seit 2015 die Bedeutung städtischer Grün- und Freiräume für die Erhaltung der biologischen Vielfalt explizit in der Präambel der Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung, einem zentralen Instrument der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, enthalten.
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Der Masterplan Stadtnatur unterstützt die Weiterentwicklung des Leitbilds der doppelten Innenentwicklung, etwa im Rahmen der Initiierung einer bundeseinheitlichen Konvention zu Grünraumversorgung und Erholungsvorsorge.
Das Leitbild der doppelten Innenentwicklung verfolgt das Ziel, Flächenreserven im Bestand baulich sinnvoll zu nutzen, gleichzeitig aber auch urbanes Grün zu entwickeln, zu vernetzen und qualitativ aufzuwerten. Zielkonflikte zwischen baulicher und freiraumbezogener Entwicklung sind dabei nicht immer vermeidbar, nicht selten gehen aber diese Konflikte zu Lasten städtischer Frei- und Grünräume. Das Bundesamt für Naturschutz hat dazu Handlungsempfehlungen für die Entwicklung innerstädtischer Flächenreserven erarbeitet, die den Städten und Gemeinden den verantwortungsvollen Umgang mit urbanem Grün bei der städtebaulichen Innenentwicklung erleichtern und eine qualifizierte doppelte Innenentwicklung befördern.
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Für den Masterplan Stadtnatur wird es im Bundesprogramm Biologische Vielfalt einen neuen Förderschwerpunkt Stadtnatur geben. Hierzu wird die Förderrichtlinie angepasst und die konkreten Rahmenbedingungen werden voraussichtlich Ende 2019 feststehen. Im Bundesprogramm Biologische Vielfalt können Projekte zum Thema Stadtnatur bereits ab sofort eingereicht werden. Im Bundesprogramm ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Zuerst wird eine aussagekräftige Projektskizze eingereicht, die im Programmbüro des Bundesamtes für Naturschutz begutachtet wird. Falls die Projektskizze grundsätzlich positiv bewertet worden ist, wird zur Antragsstellung aufgefordert.
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Städtische Naturerfahrungsräume sind großflächige, naturbelassene Freiräume ohne vor-gegebene Spielelemente für Kinder und Jugendliche. Sie geben ihnen die Möglichkeit, in ihrem direkten Umfeld Natur vorzufinden, um eigenständig Erfahrungen mit Pflanzen und Tieren sammeln zu können. Langjährige Untersuchungen zeigen, dass das freie Spielen in der Natur wichtig ist, um Körperbeherrschung, Kreativität, natürliche Risiko- und Sozialkompetenz zu erlernen.
Vor allem in den Großstädten gibt es nur noch wenige Orte, in denen Kinder frei, ohne Verbote, Richtlinien und ständige Beobachtung die Natur spielerisch entdecken können. Um diesem Missstand zu begegnen, wurde in den 1990er Jahren das Konzept der "Naturerfahrungsräume" entwickelt. Die Idee der Naturerfahrungsräume bietet eine große Chance, ein Mehr an Lebensqualität von Kindern und Stadtnaturschutz zu verbinden.
Mit einem Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben "Naturerfahrungsräume in Großstädten am Beispiel Berlin" des BfN wurde die systematische Einrichtung, Beobachtung und Auswertung von Naturerfahrungsräumen im großstädtischen Kontext in Angriff genommen.
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Gebäude stellen auch Lebens- und Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen dar. Vor allem einzelne Vogel- und Fledermausarten sind in besonderer Weise vom Lebensraum Gebäude abhängig. So bevorzugen Mauersegler zum Beispiel Nisthöhen ab sechs Meter und freien Anflug. Die Nester bauen Mauersegler während der Sommermonate unter Dachvorsprüngen, Steinen oder Mauerlücken. Fledermäuse, wie etwa die Breitflügelfledermaus, benötigen eben-falls Spaltenräume, etwa in Dachböden, hinter Regenrinnen oder unter Attiken. Auch Insekten finden in den bebauten Strukturen unserer Städte wichtige Lebensräume.
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Auch Bürgerinnen und Bürger können zu einer naturorientierten Stadt beitragen, indem sie private Höfe so wenig wie möglich versiegeln, Grünflächen und Grünelemente anlegen, Fassaden und Dächer begrünen. Auch die naturnahe Gestaltung des eigenen Gartens hilft der Stadtnatur. An Gebäuden oder im eigenen Garten können Nisthilfen und Quartiere für Vögel, Fledermäuse und Insekten angebracht werden. Auch das Engagement in Vereinen, die sich für den Naturschutz in der Stadt einsetzen, hilft, unsere Städte lebenswerter zu machen und die Vielfalt an Pflanzen und Tieren zu erhalten. Darüber hinaus gibt es in den meisten Städten Bürgergärten, in denen man viel über Stadtnatur lernen und sich darüber hinaus auch selbst betätigen kann.
Im Rahmen des Umsetzungsprozesses des Masterplans Stadtnatur wird das Bundesumweltministerium auch für Bürgerinnen und Bürger Handreichungen mit konkreten Tipps für mehr Natur in ihrem direkten Umfeld entwickeln.