Steffi Lemke im Interview über die Verkehrswende und den Atomausstieg

21.01.2022
Im Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung spricht Bundesministerin Steffi Lemke über die Verkehrswende und den Atomausstieg.

Mitteldeutsche Zeitung: Frau Lemke, Sie machen seit mehr als 30 Jahren Politik, übernehmen jetzt aber erstmals ein Regierungsamt. Macht es Spaß, gestalten zu können?

Steffi Lemke: Es ist eine wahnsinnig anspruchsvolle Aufgabe mit einem heftigen Tempo. Aber es macht definitiv Spaß.

Früher sagten Sie, Sie wollten gar kein Regierungsamt, das "Repräsentative" läge Ihnen nicht. Was ist passiert?

Ich habe mich nicht sechs oder zwölf Monate um dieses Amt beworben, weil ich Parlamentarierin mit Leib und Seele bin. Es hat sich dann aber ergeben, dass ich gefragt wurde. Das Amt als Umwelt- und Verbraucherschutzministerin der Bundesrepublik Deutschland konnte ich als überzeugte Ökologin nicht ablehnen.

Die bislang größte Aufmerksamkeit und auch Spott haben Sie für Ihre Forderung nach austauschbaren Akkus in Elektrozahnbürsten bekommen. Ärgern Sie sich darüber?

Ich kann da einen Lacher gut aushalten. Wichtig ist die erzeugte Aufmerksamkeit für die Kurzlebigkeit von Produkten und die Ressourcenverschwendung. Ich will langlebige und reparierbare Konsumgüter, zum Beispiel durch die Austauschbarkeit von Handy-Akkus.

Die EU-Kommission will Atomkraft als "nachhaltige" Energie einstufen. Kann die Bundesregierung das noch verhindern?

Unsere Stellungnahme wird ein klares Nein enthalten. Atomkraft ist keine sichere Energiequelle, wir haben global noch kein einziges Endlager für hoch radioaktive Abfälle.

Österreich will gegen eine Entscheidung der EU notfalls klagen - die deutsche Bundesregierung ebenfalls?

Wir werden alle Vorschläge und Diskussionsbeiträge in den nächsten Monaten prüfen.

Was bedeutet es für Sie persönlich, dass die letzten Atomkraftwerke in Ihrer Amtszeit geschlossen werden?

Für mich schließt sich da ein Kreis. Ich habe in Gorleben demonstriert, ich habe mich jahrelang gegen Atomkraftwerke eingesetzt, weil sie so unsicher sind, ich war in den verstrahlten Gebieten in Belarus.

Wird es beim deutschen Atomausstieg auch dann bleiben, sollte Russland einen Krieg beginnen und russisches Erdgas als Energieträger ausfallen?

Eine Verlängerung der Atomkraft kann ich ausschließen. Die Betriebsgenehmigungen der letzten drei AKW enden zum Jahresende, das ist Gesetz und die Betreiber stehen dazu. Der billigste und sicherste Weg für die Energieversorgung sind Windkraft, Photovoltaik und Speichertechnologie.

Ist es eine gute Idee, dass Deutschland aktuell auf Gas setzt und sich so von Russland abhängig macht?

Wir werden Erdgaskraftwerke benötigen. Aber nur als kurzfristige Überbrückungsperspektive.

Kann Deutschland auf Nord Stream 2 verzichten?

Wir haben eine funktionierende Erdgasversorgung. Wegen der gravierenden Auswirkungen auf den sensiblen Ostseeraum wäre es mir lieber gewesen, wenn diese Pipeline nicht gebaut worden wäre. Ob die Betriebsgenehmigung erteilt wird - darauf habe ich als Umweltministerin in dieser Phase keinen Einfluss.

Was kündigen Sie Autofahrern an?

Wir müssen den klimaschädlichen Beitrag des Verkehrs schnell und drastisch reduzieren. Vor allem in den Städten wird der Umstieg auf Bus und Bahn, Fahrradfahren und Zufußgehen eine Rolle spielen - da, wo das möglich ist. Sachsen-Anhalt ist aber ein Flächenland, und im ländlichen Raum ist das Auto ein wichtiges Verkehrsmittel. Hier setzen wir insbesondere auf den Ausbau der Elektromobilität.

Viele können sich ein neues Elektroauto nicht leisten, auch durch die in Sachsen-Anhalt niedrigeren Einkommen.

Deshalb gibt es auch keine Verbote und niemand muss sein Auto stilllegen. Zudem wächst das Angebot in unterschiedlichen Preissegmenten stetig, und es wird mehr und mehr gebrauchte Elektroautos geben. Die Ungleichheit zwischen Ost und West bei Einkommen und Vermögen gab es übrigens schon vor der Klimafrage. Die Bundesregierung wird soziale Aspekte im Blick haben, etwa beim Heizkostenzuschuss oder durch die Kindergrundsicherung. Uns Grünen ist das Klimageld wichtig, mit dem wir das Geld aus dem CO2-Preis an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben wollen.

Es gibt Pläne, CO2 aus dem mitteldeutschen Chemiedreieck unter der Nordsee zu speichern. Eine gute Idee?

Ich kenne diese Pläne nicht und kann sie daher nicht bewerten. Grundsätzlich gilt: Neue technische Verfahren sind interessant für den Klimaschutz, solange sie nicht der Natur schaden. Am kostengünstigsten und schnellsten ist der Ausbau der erneuerbaren Energien.

Die Bundesregierung will den Kohleausstieg möglichst schon 2030 abgeschlossen haben, Ministerpräsident Reiner Haseloff lehnt das ab. Wie wollen Sie ihn überzeugen?

Eine CDU-geführte Bundesregierung hat sich in Paris für die Verschärfung von Klimaschutzzielen eingesetzt, dem muss sich auch Herr Haseloff verpflichtet fühlen. Die Bundesregierung hat Sachsen-Anhalt dafür Milliardenhilfen bewilligt. Wenn der Kohleausstieg vorgezogen wird, sollte dieses Geld auch flexibler eingesetzt werden können.

Fühlen Sie sich als Sachsen-Anhalterin eigentlich auch dafür zuständig, im Kabinett eine Ost-Perspektive einzubringen?

Durch den Veränderungsdruck nach 1990 geht heute im Osten vieles anders und auch besser. Für dieses positive Image der ostdeutschen Bundesländer will ich auch im Kabinett werben, diese Erfahrung werde ich einbringen.

© Mitteldeutsche Zeitung 

21.01.2022 | Medienbeitrag Verkehr | Halle
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