Der erste konkrete Anstoß

Nationalparkideen in der DDR

Als die Volkskammer der DDR 1954 ein neues Naturschutzgesetz verabschiedet, sind dort Naturschutzgebiete und Naturschutzdenkmale, Landschaftsschutzgebiete und Flächendenkmale genannt. Das international bekannteste Format eines Großschutzgebietes aber fehlt: Der Nationalpark. Als leuchtende Modelle gelten gemeinhin die großen Nationalparks der USA, die sich durch Weitläufigkeit und 'Wildnis' auszeichnen. Dafür scheint aber in der DDR kein Platz, und dennoch werden in den 1950er Jahren Ideen laut, einen eigenen Nationalparktypus ins DDR Naturschutzgesetz aufzunehmen. Auch der Publizist Reimar Gilsenbach, bereits früh einer der bedeutenden Querdenker des DDR Natur- und Umweltschutzes, speist sie hartnäckig in öffentliche Debatten ein – allerdings vergeblich. Der Verdacht steht im Raum, dass die Regierung den Naturschutz in der Fläche kleinhalten will. Bis 1990 ein geradezu utopisches Konzept für Großschutzgebiete für politische Furore sorgt. Das Nationalparkprogramm mit umfangreichen Plänen für die Unterschutzstellung von 14 Großgebieten wird in der letzten Sitzung des freigewählten Ministerrats der DDR unter recht dramatischen Bedingungen gerade noch verabschiedet – und bald darauf realisiert.

Erholungslandschaft oder Nationalpark? Urlaubsdörfer der Gewerkschaft an der Müritz, 1962. Weitere Informationen siehe Bildunterschrift

Erholungslandschaft oder Nationalpark? Urlaubsdörfer der Gewerkschaft an der Müritz, 1962

Die Initiative Müritz beispielsweise

In der DDR gibt es viele schutz- und nationalparkwürdige Gebiete mit eindrücklicher und repräsentativer Natur wie die Sächsische Schweiz, den Hochharz oder den Darß. Schon 1958 schlägt eine Gruppe um Kurt Kretschmann einen Seen-Nationalpark vor, der die Müritz und alle großen benachbarten Wasserflächen umfassen soll. Der Plan kollidiert jedoch mit der staatlichen Vorgabe, in der DDR großmaßstäbliche Erholungseinrichtungen zu schaffen. Gleichzeitig nutzten Machthaber von jeher ihre Privilegien, um für sich Exklusivrechte bei der Nutzung unberührter Landschaften zu beanspruchen.

So lassen sich auch Mitglieder der SED-Führung für ihren Gebrauch Staatsjagden im größten Naturschutzgebiet der DDR, an der Ostseite der Müritz, einrichten. Militärische Flächen sind ebenfalls streng abgeriegelt. Es gibt zwar einzelne Landschafts-, Wald- und Naturschutzgebiete, aber eben kein Großschutzgebiet. Doch der Umbruch im Herbst 1989 spült die ursprüngliche Nationalparkidee mit Wucht wieder nach oben. Es beginnt mit öffentlichen Protesten gegen die Staatsjagdgebiete. Diese Form der Flächenaneignungen durch SED-Funktionäre wird nun laut und kritisch hinterfragt.

Am 26. November 1989 kommt es zu einem spektakulären Protestmarsch, bei dem mehr als 200 Bürgerinnen und Bürger den Jagdsitz des Vorsitzenden des Ministerrates Willi Stoph 'in Augenschein nehmen' wollen. Dieser Marsch zum Specker Forst entwickelt sich zu einer Demonstration gegen Machtmissbrauch und elitäre Abschottung. Die zivilgesellschaftliche Bewegung will die Naturareale öffnen und schützen. Sie kann auch auf ein Programm zurückgreifen, das ein Kreis von Botanik-Fachleuten um Lebrecht Jeschke, Michael Succow und Hans Dieter Knapp 1976 zur Einrichtung eines Systems von Großschutzgebieten für die DDR entworfen.

Protestmarsch zum Specker Horst am 26. November 1989. Weitere Informationen siehe Bildunterschrift

Protestmarsch zum Specker Horst am 26. November 1989: Ein Nationalpark für alle, statt ein Sonderjagdgebiet für den Ministerpräsidenten der DDR.

Die Idee eines Nationalparks ist keine Utopie mehr, sondern eine reelle Möglichkeit. Das ist in dieser Zeit kein Einzelfall. Die Müritz-Initiative trifft auf andere lokale Ideen für große Schutzgebiete. Daten über die Schutzwürdigkeit vieler Naturräume liegen dank der ehrenamtlichen Arbeit von Frauen und Männer vor, die sie bereits in floristischer und faunistischer Hinsicht erfasst und erforscht haben. Nicht zuletzt auf Basis der langjährigen Beobachtungen und Datensammlungen können nun auch ökologisch relevante Ansprüche angemeldet werden. Die Initiative an der Müritz, die 1989 aus den politischen Veränderungen entsteht, ist für den Biologen Hans-Dieter Knapp, "sicherlich der erste konkrete Anstoß" für das Nationalparkprogramm, einen Clou der DDR-Umweltgeschichte. 

Von einer Idee zum Programm

Bereits in der ersten Dienstberatung des neu geschaffenen Bereichs für "Ressourcenschutz und Landnutzungsplanung" im Umweltministerium der DDR unter der Leitung von Michael Succow wird im Januar 1990 ein "Nationalparkprogramm" diskutiert. Aufbaustäbe entstehen, konkrete Planungen beginnen. Die politischen Ereignisse überschlagen sich, nach wenigen Monaten zeichnet sich die Wiedervereinigung ab. Bis heute erinnern sich die Beteiligten an hektische, atemlose und euphorische Diskussionen, an Austauschtreffen mit Fachleuten aus Westdeutschland, an Flächenerfassungen und juristische Entwürfe. Auch die Bürgerinitiative, die sich an der Müritz für einen Nationalpark einsetzt, ist an dem rasanten Prozess maßgeblich beteiligt.

Dessen Aufbaustab hat einen der jungen Umweltaktivisten aus Schwerin an seiner Spitze, Jörn Mothes. Hier entfaltet die oppositionelle Umweltbewegung gemeinschaftlich mit Akteurinnen und Akteuren aus dem Naturschutz und den Fachleuten des Umweltministeriums eine erstaunliche Dynamik zugunsten eines zukünftigen Nationalparks. Dabei kann sie auf bestehende Ideen und Netzwerke zurückgreifen, wie Mothes bemerkt, denn das "wäre alles nicht gegangen, wenn nicht diese Vorgeschichten da gewesen wären." Schließlich wird die Schutzgebietsordnung im September 1990 beschlossen und läutet damit eine neue Phase von Nationalparkgründungen auch in Westdeutschland ein. 

Interview mit Jörn Mothes am 30. Juli 2020.

Zitat Hans Dieter Knapp, in Behrens/Hoffmann (2013): Naturschutzgeschichte(n), S. 239.

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"Wir haben uns nicht versteckt"

Stand: 06.12.2021