Rede von Steffi Lemke zur Eröffnung des BMUV-Agrarkongresses 2022

18.01.2022
Bei ihrer Rede auf dem Agrarkongress hob Bundesumweltministerin Steffi Lemke hervor, dass das BMUV und das Bundeslandwirtschaftsministerium mit der neuen Legislaturperiode an einer zukunftsfähigen Agrarpolitik arbeitet.

Umwelt und Landwirtschaft im Aufbruch – Die Zukunft jetzt auf den Weg bringen!

– Es gilt das gesprochene Wort –

Lieber Herr Kommissar Sinkevičius,
lieber Herr Bundesminister Özdemir,
lieber Herr Bundesminister a. D. Borchert,
lieber Herr Professor Strohschneider,
lieber Herr Landheer,
lieber Herr Professor Messner,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

herzlich Willkommen zum sechsten Agrarkongress des Bundesumweltministeriums – das jetzt auch das Ministerium für Verbraucherschutz ist. Es ist zu einer guten Tradition geworden: Zu Beginn des Jahres kommen hier Politik, Landwirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um die zentralen agrar- und umweltpolitischen Themen zu diskutieren.

In diesem Jahr ist eines jedoch ganz anders: Diesmal treten Landwirtschafts- und Umweltministerium als Team an. Dieser Agrarkongress soll den Beginn einer neuen strategischen Allianz markieren. Einer Allianz, in der wir gemeinsam an Lösungen arbeiten. In der wir die bäuerlichen Strukturen stärken und gesunde Vielfalt auf dem Teller ermöglichen. Ganz so, wie es die EU-Kommission mit ihrer "Farm-to-Fork"-Strategie aufgezeigt hat. Diese Allianz setzt eine ganzheitliche Betrachtung von Agrarpolitik voraus, die den gesamten Prozess von der Lebensmittelherstellung bis hin zum Verbraucher umfasst.

Diese Regierung ist angetreten als Fortschrittsbündnis, für Gerechtigkeit, Freiheit und Nachhaltigkeit. Genauso wie die Industrie, die Mobilität und die Energieversorgung steht auch die Landwirtschaft vor tiefgreifenden Veränderungen. Sowohl im Klimaschutz, als auch im Kampf gegen das Artenaussterben spielt sie eine entscheidende Rolle und natürlich bleibt sie die wichtigste Säule der Lebensmittelerzeugung.

Vor dreißig Jahren habe ich – hier um die Ecke, an der Humboldt Uni in Berlin – Agrarwissenschaften studiert. Das war 1988/89 – während der friedlichen Revolution. Eines aber galt weiter in Ost und West: das Mantra der immer intensiveren, immer stärker industrialisierten Produktion häufig ohne Rücksicht auf die unsichtbaren Schäden an Umwelt und Natur und oft genug auch ohne Rücksicht auf die ganz offensichtlichen.

Dieses Grundverständnis, das Paradigma des "Wachse oder Weiche", prägt bis die Agrarpolitik und –förderung.

Dass das so nicht weitergehen kann, wissen eigentlich alle.

Deshalb brauchen wir eine Neuausrichtung der Agrarpolitik. Eine Agrarpolitik, die einen Aufbruch in der Landwirtschaft auslöst – grundlegende Veränderungen in der Art und Weise, wie Lebensmittel produziert und Felder bewirtschaftet werden.

Eine moderne, zukunftsfähige Landwirtschaft ist eine Landwirtschaft, in der es sich lohnt, pfleglich mit der Natur umzugehen. In der Landwirte ihr Erfahrungswissen über Fruchtfolgen und Bodenfruchtbarkeit auch einsetzen und damit Produzenten von biologischer Vielfalt werden.

Was meine ich konkret?

Es gibt einen ganzen Strauß von Lösungen, die der Landwirtschaft, der Umwelt und den Verbraucherinnen und Verbrauchern gleichzeitig zugutekommen. Drei Beispiele will ich hervorheben:

Erstens, ein anderer Einsatz der Fördergelder. Der notwendige Aufbruch soll so organisiert werden, dass er neue wirtschaftliche Chancen eröffnet für die landwirtschaftlichen Familien und die Betriebe. Für die Agrarförderung heißt das: Für Landwirte muss es sich künftig lohnen, wenn sie so wirtschaften, dass sie dabei die Natur schützen und bewahren.

Der wichtigste Hebel dafür ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Die Reform im letzten Jahr hat erste vorsichtige Schritte in diese Richtung unternommen. Aber sie geht längst nicht weit genug. Wir müssen aussteigen aus dem System der pauschalen Flächenprämie, die ohne große ökologische Gegenleistung gezahlt wird.

Das Bundesumweltministerium wird sich in die weitere Diskussion um die GAP aktiv einbringen:

  • bei möglichen Anpassungen des nationalen Umsetzungsplans schon in diesem Jahr,
  • bei der Evaluierung im Jahr 2024, wenn über Gesetzesänderungen auch die Verteilung der Fördergelder neu geregelt werden kann,
  • und bei der Vorbereitung der nächsten GAP-Reform auf EU-Ebene, bei der es um die Frage gehen wird, dass Fördergelder nur noch nach dem Prinzip öffentliches Geld für öffentliche Leistung ausgereicht werden.

Schon jetzt wollen wir den Vertragsnaturschutz stärken: Für Landwirtinnen und Landwirte soll es mehr und attraktivere Angebote geben, bei Naturschutzmaßnahmen mitzumachen, die über gesetzlichen Standards hinausgehen. Dafür will ich in der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz die Mittel für den Vertragsnaturschutz deutlich anheben.

Mein zweites Beispiel: Ich will die Landwirtinnen und Landwirte in ihrer Rolle als Klimaschützer stärken. Dafür ist der natürliche Klimaschutz zentral, den gesunde Wälder, Moore und Böden leisten. Sie schützen das Klima, wirken ausgleichend auf den Wasserhaushalt und sind Lebensräume vielfältiger dienen sie dem Schutz vor Hochwasser und Dürre und den Auswirkungen von Extremwettern.

Bis Ostern werde ich Eckpunkte vorlegen für ein Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz und die notwendige Finanzierung dafür sichern.

Zum natürlichen Klimaschutz zählt auch der Moorschutz. Mit einer Nationalen Moorschutzstrategie will ich Landwirtinnen und Landwirten die Möglichkeit eröffnen, von der Wiedervernässung von Mooren auch finanziell zu profitieren. Auch vernässtes Moor lässt sich bewirtschaften, nur eben anders – schonend und naturverträglich. Es freut mich sehr, dass mein Ministerium jetzt vier Pilotvorhaben zum Moorbodenschutz fördert. Über 10 Jahre unterstützen wir mit 48 Millionen Euro Maßnahmen zur Wiedervernässung von Moorböden und die dazugehörigen nassen Bewirtschaftungsformen, vielen von Ihnen als Paludikulturen bekannt. Das ist ein erster wichtiger Schritt zu einer flächenhaften, standortangepassten Bewirtschaftung von Moorböden.

Mein drittes Beispiel: Ich will gemeinsam mit Cem Özdemir dafür sorgen, dass der Einsatz von Pestiziden reduziert wird. Denn Pestizide treffen nicht nur die Lebewesen, gegen die sie eingesetzt werden. Sie vernichten auch Wildkräuter und Insekten. Das ist auch ein großes Anliegen der Mitbürgerinnen und Mitbürger. Deshalb wird die Regierung Alternativen zu chemisch-synthetischen Mitteln fördern. Bis Ende 2023 wollen wir Glyphosat vom Markt nehmen. Endlich! Ich will darüber hinaus den Einsatz von Pestiziden generell umwelt- und naturverträglicher gestalten. Das kann durch finanzielle Anreize geschehen oder auch durch Ergänzungen im Ordnungsrecht. So sollten wir zum Beispiel im Zulassungsverfahren bestehende Lücken schließen und die Zulassungspraxis anpassen. Ich denke da insbesondere an die Prüfung negativer Effekte auf die biologische Vielfalt.

Die Anwendung von Pestiziden, die die biologische Vielfalt schädigen, darf nur dann erlaubt werden, wenn zum Beispiel Rückzugsflächen auf und neben den Äckern vorhanden sind.

Und natürlich wird sich das BMUV auch intensiv in die Verhandlungen auf EU-Ebene über die Rahmenrichtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden einbringen.

Die letzten Jahre haben gezeigt: Die Bereitschaft zur Veränderung wächst.

  • Immer mehr Landwirtinnen und Landwirte wollen Teil der Lösung sein. Sie öffnen sich für neue, naturverträgliche Praktiken oder stellen auf Ökolandbau um.
  • Organisationen aus Landwirtschaft, Natur- und Umweltschutz, Tier- und Verbraucherschutz suchen verstärkt gemeinsam nach Lösungen. Das zeigt auch die intensive Arbeit der Zukunftskommission Landwirtschaft und des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung.
  • Auf EU Ebene setzen die Biodiversitätsstrategie, die Bodenstrategie und die "Farm to Fork"-Strategie neue Ziele und Vorgaben, die ein europaweites Umdenken signalisieren. Ich bin sicher, Kommissar Sinkevičius wird darauf noch detaillierter eingehen.
  • Ernährungsgewohnheiten ändern sich, das Bewusstsein für Umwelt und Tierwohl nimmt zu, die Biobranche boomt. Für viele junge Menschen ist eine bewusste, gesunde und nachhaltige Ernährung schon selbstverständlich. Traditionelle Fleischunternehmen erwirtschaften mittlerweile über die Hälfte ihres Einsatzes mit alternativen Proteinen. Digitale Lösungen helfen bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Viele Menschen erklären sich bereit, mehr für Lebensmittel zu zahlen, wenn es einen Mehrwert für die Umwelt bringt. Und doch sind es oft die Strukturen der Landwirtschaft und des Ernährungssystems, die verhindern, dass aus dem Trend eine richtige Wende wird.
  • Das BMUV ist jetzt auch Verbraucherschutzministerium und Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Veränderungen. Als Verbraucherschutzministerin werde ich die Entwicklung von Kriterien für einen ökologischen Fußabdruck von Lebensmitteln und die Weiterentwicklung des Nutriscores eng begleiten. Genauso wie die geplante Ernährungsstrategie.

Das alles sind gute Grundlagen für echte Veränderung. Um sie durchzusetzen, braucht es alle verfügbaren Kräfte. Wir brauchen die strategische Allianz von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Und wir brauchen Ihre Mitarbeit und kritische Begleitung, von Landwirtschaftsakteuren und Naturschutzverbänden, von Wissenschaft und Handel.

Ich freue mich, mit Ihnen zusammen daran zu arbeiten.

Vielen Dank.

18.01.2022 | Rede Bodenschutz

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